Marl. Es gibt Tage, an denen überschlagen sich die Ereignisse. Dieser Donnerstag gehört dazu. Am Anfang dieser Geschichte aber soll die Nachricht stehen, die viele Menschen in Marl und den Nachbarstädten regelrecht aufatmen lässt: Hans H. ist fort.
Der 62-jährige Sexualstraftäter, der nur aufgrund einer Justizpanne nicht in Sicherungsverwahrung gekommen ist, nachdem er eine siebenjährige Haftstrafe abgesessen hatte, hat sich dem Druck gebeugt und einen Therapieplatz angenommen. Wo, verrät Bürgermeister Werner Arndt (49, SPD) nicht. Die Ratsmitglieder, die zuvor einhellig der Verwaltung ein dickes Lob ausgesprochen hatten für ihr Verhalten und ihre Informationspolitik in diesem prekären Fall, sie sind alle erleichtert und klopfen symbolisch auf die Tische. Anerkennung!
Hans H. in Marl. Das ist das Thema des Tages, dagegen verblasst die Pleite der Stadt völlig. Viele Menschen kommen in die Sitzung des Rates an diesem Nachmittag. Die Stammgäste sind sowieso da, aber dieses Mal auch Eltern mit Kindern. Der Elternbeirat eines Kindergartens ebenfalls.
Vor dem Rathaus wird demonstriert, was kaum einer mitbekommt. Eine rechte Gruppe will die Gelegenheit nutzen, heißt es. Im Großen Sitzungssaal sind Presse-Fotografen und ein laut Arndt den Rechten zuzuordnendes Kamerateam. Auf Vorschlag des Bürgermeisters wird einstimmig ein Dreh- und Fotoverbot ausgesprochen. Die Polizei ist wegen der Demo da und setzt es um.
Sprechstunde: Eltern gehen ans Mikro und äußern ihre Bedenken und Sorgen. Burkhard Deutscher etwa, der mit seiner Familie im Wohnquartier Steinernkreuz zuhause ist, möchte wissen, ob H. dort in der Nähe in der Sammelunterkunft Röttgershof untergebracht ist. Arndt, der zu diesem Zeitpunkt von der späteren Entwicklung noch nichts weiß, beruhigt den Mann mit klar zu interpretierenden Umschreibungen. Silke Schulz folgt auf Deutscher. Die Mutter ist wehrhaft, sie sammelt Unterschriften und sucht im Rat Verbündete, die die Politik im Bund unter Druck setzen, damit so eine Panne nirgendwo mehr passieren kann.
Nicht alltäglich ist in all der Zeit die Betriebsamkeit am Tisch des Verwaltungsvorstandes. Dr. Barbara Duka, die Sozialdezernentin der Stadt, geht mehrfach hinaus und führt Telefonate. Schließlich gibt es einen Wink: „Vielleicht passiert gleich noch etwas in Sachen Hans H.”
Die Mütter und Väter, die Mädchen und Jungen, der Elternbeirat des Kindergartens, sie alle sind um kurz vor 18 Uhr längst nicht mehr im Sitzungssaal, als Werner Arndt schließlich verkündet: „Hans H. hat Marl verlassen. Er ist bereits nicht mehr in der Stadt. Er hat einen Therapieplatz angenommen.” Wo, das sagt der Bürgermeister nicht. Aber dies: „Das ist eine gute Lösung, die in enger Abstimmung mit dem Justiz- und Gesundheitsministerium in Düsseldorf und den Behörden gefunden und getroffen worden ist.”
Arndt erinnert daran, dass diese Option von Beginn an erste Wahl für die Marler Verwaltung gewesen ist. Dass sie auf den 62-Jährigen eingewirkt habe, seit sie vom Hintergrund des Mannes erfahren hatte. Und auch dies gehört zum Tag: Die Entschuldigung des Bürgermeisters an die Harkort-Grundschule, in deren Nähe H. zunächst wohnte.