Vest. „Wer mit 311 Euro Hartz-IV-Regelsatz auskommen muss, denkt beim Thema Verhütung einfach: Es muss ja nicht immer schief gehen.” Elisabeth Cramer, Leiterin der Schwangerenberatung beim Caritasverband, hält die Finanzierung von Verhütung bei armen Familien auf jeden Fall für sinnvoll.

Einen entsprechenden Vorstoß machte jüngst die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Vor der Hartz-IV-Reform und dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 gehörte dies in der Regel zum Leistungskatalog für Sozialhilfeempfänger. Nun sieht der Gesetzgeber das nicht mehr vor.

Der Kreis Recklinghausen hilft – anders als andere Städte – trotzdem, stillschweigend. Die Sozialämter im Vest übernehmen in der Regel Verhütungskosten als freiwillige Leistung – auf Antrag. Bedingung: Der Arzt muss Pille oder Spirale verordnet haben. Kondome sind nicht vorgesehen.

Dennoch kommt es nach Erfahrung von Schwangerschafts-Konfliktberaterinnen im Kreis häufig zu ungewollten Schwangerschaften, weil das Geld für die Verhütung fehlte. Viele Frauen wissen nämlich gar nicht, dass sie auf Antrag die Kosten ersetzt bekämen, weil die Städte nicht gerade Reklame für diese ihre freiwilligen Leistungen machen. Der Gesetzgeber gesteht Gratis-Verhütung nur jungen Frauen bis 20 Jahre zu.

Für Mechthild Keßler, Beraterin beim Diakonischen Werk in Herten, ist es auch eine Frage der Gleichberechtigung: „Die ALG-II-Regelleistung ist für alle gleich, egal, ob Frauen im fruchtbaren Alter sind oder nicht. Verhütungskosten sind nicht eingerechnet.” Dr. Christine Gathmann, als Frauenärztin für pro familia im Kreis beratend tätig, fordert: „Frauen müssen ein für sie passendes, sicheres Verhütungsmittel bekommen. Alle. Auch Familien mit niedrigem Einkommen.” Unpassend, weil unsicher, sei etwa die Pille für Frauen mit Essstörungen.

Spirale auf Raten

Dass es auch im Vest viele ungewollte Schwangerschaften gibt, die auf Geldmangel zurück zu führen sind, bestätigen Beraterinnen aller Institutionen. Für Familien mit wenig Geld sind etwa gut verträgliche Hormonspiralen, die fünf Jahre wirken, unerschwinglich: bis zu 400 Euro inklusive einsetzen. Obwohl das mit monatlichen Kosten von gut 6 € eigentlich sogar deutlich günster ist als die Pille (ab 18 € /Monat): Soviel Geld haben Geringverdiener bzw. Hartz-IV-Empfänger nie auf einmal übrig. Manche Ärzte bieten schon Ratenzahlung an.

Wie vielen Frauen die Empfängnisverhütung von ihrer Stadt finanziert wurde, können die Sozialämter nicht sagen. Gezählt werden Fälle, wobei eine Frau auch viermal pro Jahr die Kosten für die Pille für ein Quartal beantragen kann. In Herten waren es im vergangenen Jahr 265 Fälle, in Marl 63 Fälle. In Marl wurden dafür 6127 Euro ausgegeben. Recklinghausen gewährte in 38 Fällen Hilfe.