Vest. Die Kassiererin, die auf Ein-Euro-Münzen allergisch reagiert; der Nachbar, der Blutdruck senkende Mittel einnimmt; der Neurodermitis-Kranke: Sie alle können unter Juckreiz leiden.
Denn die unangenehme Empfindung der Haut, die Kratzen provoziert, kann viele Ursachen haben, das wurde den Besuchern des Medizinforums von WAZ im Vest und Klinikum Vest am Dienstagabend im Knappschaftskrankenhaus zum Thema Juckreiz und Ekzeme – Wenn die Haut verrückt spielt” schnell klar.
Dass ein für gewöhnlich mit Ekzemen einhergehender (chronischer) Juckreiz dabei nicht immer nur Begleiterscheinung einer Allergie – gegen Pollen, Nahrungsmittel, (chemische) Substanzen und Stoffe – sein muss, sondern auch ein Symptom für eine andere Erkrankung sein kann, verdeutlichte Prof. Dr. Rolf-Markus Szeimies zum Auftakt der Veranstaltung. So etwa litten alle Neurodermitiker unter Juckreiz, erklärte der seit Anfang November im Amt befindliche Chefarzt der Klinik für Haut-, Allergie-, Venen- und Umwelterkrankungen im Hause. Aber auch Schuppenflechte (80 %), Nieren- und Lebererkrankungen (60 %), Magersucht (50 %) oder Lymphdrüsenkrebs (30 %) könnten ihn verursachen, seltener dagegen Diabetes (3 %).
Die Suche nach den Gründen von Juckreiz gleiche oft „der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen”, gestand der Mediziner. Zumal die Haut auch infolge einer Therapie mit Schmerzmitteln, Antibiotika, Blutdrucksenkern, Psychopharmaka verrückt spielen kann. „Manchmal”, so Szeimies, „ist es auch die Kombination der Mittel, die das Fass zum Überlaufen bringt.”
Und dann gibt es auch noch Menschen, die sich dauernd kratzen müssen, weil ihre Seele aus dem Takt geraten ist (mehr unter "Spiegel der Seele").
Unter länger andauerndem Juckreiz leiden, Experten zufolge, bundesweit etwa zwölf Millionen Menschen. „Das bedeutet einen hohen Verlust an Lebensqualität”, sagte Dr. Kathrin Stock, Assistenzärztin der Dermatologischen Abteilung. „Die Betroffenen selbst erzählen immer wieder, er sei schlimmer als Schmerzen.” Dazu fühlten sich viele wegen ihrer Ekzeme stigmatisiert.
Was sich gegen diese Hauterkrankungen tun lässt?
Erstens: So weit möglich gilt es, die Ursachen zu vermeiden. Die Kassiererin zum Beispiel, die auf Ein-Euro-Münzen allergisch reagiert, könnte Handschuhe bei der Arbeit tragen. Diese Münzen, verriet Szeimies, enthalten nämlich Nickel – „die Nr. 1 in der Hitparade der allergieauslösenden Stoffe”. Und Birkenpollen-Allergiker, die eine Kreuzallergie gegen Äpfel haben, sollten dieses Obst meiden. Während der Birkenblüte. Im Herbst könnten die meisten dagegen rohe Äpfel essen, gekochte sogar immer, nannte Assistenzärztin Jana Ruschenburg ein Beispiel für das Zusammenspiel von Juckreiz infolge einer Nahrungsmittelallergie und Ernährung.
Und sonst? Beinhaltet eine Therapie eine Behandlung der Kratzspuren mit juckreizstillenden Cremes sowie eine medikamentöse Behandlung der Symptome.
Was er davon halte, Juckreiz mit homöopatischen Mitteln zu behandeln, wollte ein Besucher zu diesem Aspekt später in der von Friedhelm Pothoff, dem Leiter der WAZ-Redaktion „Unser Vest”, moderierten Fragerunde wissen. „Alles, was dem Patienten hilft und seinem Geldbeutel nicht schadet, hat absolute Berechtigung in der Medizin”, antwortete Szeimies. Und ob es einem helfe, müsse man ausprobieren.
Was der Haut von Menschen mit Juckreiz auf jeden Fall gut tut, sind: Alternativen zum Kratzen. „Kneten, Kühlen, Klopfen”, so Stock, „das hilft auch.” Der Kassiererin mit der Nickelallergie genau so wie dem Neurodermitis-Kranken.
"Spiegel der Seele": Wissenswertes über psychosomatische Aspekte von Juckreiz und Hauterkrankungen
Wussten Sie schon, dass Juckreiz auch ansteckend sein kann? Dr. Kathrin Stock erläuterte dieses Phänomen beim jüngsten WAZ-Medizinforum in ihrem Beitrag über die psychosomatischen Aspekte von Juckreiz und Ekzemen: So genannte Spiegelneurone (Nervenzellen), so die Ärztin am Knappschaftskrankenhaus, sind dafür verantwortlich, dass wir plötzlich meinen, uns juckt's – während wir einen anderen beim Kratzen beobachten. Indes ist dieser Juckreiz so rasch wie er gekommen ist auch wieder verschwunden.
Gleichwohl kann der Drang, sich zu kratzen, sogar dauerhaft ausgelöst werden, ohne dass sich beim Betroffenen eine körperliche Erkrankung als Ursache finden lässt, betonte Stock: „Das ist bei 50 Prozent aller Patienten so.”
Sie nannte den Forumsbesuchern zwei Beispiele: den „Ungezieferwahn”, von dem vor allem Frauen im fünften bis siebten Lebensjahrzehnt betroffen seien, die isoliert lebten. Diese Patienten glaubten, in ihrem Körper lebten kleine Tierchen o. ä, die den Juckreiz verursachten. Eine Psychotherapie könne ihnen ebenso helfen wie Patienten mit Artefakten: Hauterkrankungen durch Selbstverletzungen. Diese seien oft „ein Hilferuf”, mit dem die Betroffenen – „meist junge Frauen in der Pubertät” – sichtbar machen wollten: Sie haben (seelische) Probleme.
Die Seele schließlich spiele aber auch bei anderen Hautproblemen eine nicht unbedeutende Rolle, so Stock. Etwa bei der Neurodermitis. Und auch hier könnte bei immerhin 20 Prozent der Erkrankten eine Psychotherapie das Leiden lindern. „Die Haut”, so Stocks Fazit, „ist eben auch der Spiegel der Seele."