Kinderärzte warnen vorm Piercen und Tätowieren von Minderjährigen und wollen es verbieten lassen. Studios erklären: Wir behandeln keine Kinder - und Jugendliche nur mit Genehmigung der Eltern

Vest. Ein Bauchnabel-Piercing findet Sarah Esser (13) einfach "cool". Selber hat sie bisher allerdings noch keins. "Meine Mutter hat gesagt, ich muss warten, bis ich 14 bin", erzählt die Siebtklässlerin aus der Willy-Brandt-Gesamtschule in Marl und ergänzt: "Fast die Hälfte der Mädchen in unserer Klasse sind schon gepierct."

Piercings, Tattoos, Ohrringe - der Verband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland beklagt, dass immer mehr Jugendliche - und sogar Kinder unter zehn Jahren - sich damit "schmücken", er fordert ein generelles Verbot von Piercings und Tätowierungen bei Minderjährigen. "Die Infektionsgefahr ist groß, Dauerschäden können auftreten", warnt Verbandspräsident Wolfram Hartmann. Ein Dorn im Auge ist ihm zudem, "dass das Ohrlochstechen bei Kleinkindern und Säuglingen zunimmt".

"70 Prozent der Kunden, die Ohrlöcher haben wollen, sind Kinder unter 13, darunter zunehmend Eltern mit Babys", bestätigt Birgit Preissig, vom Juwelier Christ in Recklinghausen. Ähnliches hat auch Ulrike Praller-Howegen von "Bijou Brigitte" (RE) festgestellt. Allerdings gilt dort: Kids unter 3 werden nicht bedient, und wer unter 16 ist, muss ein Elternteil mitbringen.

Kinderärzte wie Dr. Gesine Vach (RE) und Dr. Heiner Blessenohl (Marl) raten von Ohrlöchern bei Kleinkindern und schon gar von Piercings bei Kindern allgemein ab. Weil "oft Entzündungen auftreten" und "weil die Kinder beim Toben mit den Schmucksteinen hängenbleiben und sich verletzen" - oder auch "weil sie mit schmutzigen Händen an die entzündete Stelle fassen."

Grundsätzlich meint Blessenohl: "Das Kind sollte so alt sein, dass es selber entscheiden und die Konsequenzen übersehen kann." Weil Jugendliche dazu aber oft erst spät in der Lage seien und Eltern sich "oft schwer tun ,nein' zu sagen", würde er auch ein Piercing-Verbot befürworten.

Piercing zunehmend auch bei Grundschülern? "Das können wir nicht feststellen", sagt Annemarie Osterloh, Leiterin der Ewaldschule in Oer-Erkenschwick. Auch andere Grundschulleiter im Vest können die Behauptung des Verbandes der Kinderärzte nicht bestätigen: "Bei uns kein Thema", heißt es unisono.

"Out" sind Piercings oder Tattoos aber nicht - wie man in weiterführenden Schulen sieht. "Trendy" sind laut Steffen Adams, Inhaber von Piercing/Tattoo-Studios in RE und Marl, wieder die Lippen-Ringe. Dass immer mehr kleinere Kinder gepierct sind, kann er nicht bestätigen. "Der Wunsch ist vielleicht schon bei Zehnjährigen da, aber die Eltern erlauben es nicht", weiß er. Und: "Unser Gewerbe ist rau. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Studios gibt, die Kinder reinlassen". Eltern jüngerer Sprößlinge zögen es ohnehin vor, zum Piercen einen Arzt aufzusuchen: "Weil ihnen das seriöser erscheint."

Adams selber behandelt Kids ab 14 Jahren, aber nur "wenn sie mit Eltern kommen" und zudem "eine schriftliche Einverständniserklärung vorlegen". Letztere fordert Adams übrigens von jedem Kunden. Denn: "Das Piercen gilt als Körperverletzung, nur wenn der Gepiercte zustimmt, ist der Piercer rechtlich auf der sicheren Seite." Auf die schriftliche Genehmigung setzt auch Thomas Birner vom Tätowier- und Piercingstudio "Skin Therapy" (RE). Junge Leute unter 16 behandelt man dort gar nicht.

Für gesundheitliche Folgeschäden, die aus dem Piercing und Tätowieren resultieren, muss jeder selber zahlen. Die Krankenkassen hätten, so Hendrik Friedrich (DAK), diese Leistung grundsätzlich aus ihrem Katalog gestrichen. Teuer wird es auch für diejenigen, die ihr Tattoo wieder los werden wollen. Eine Laser-Behandlung kann laut Dr. Frank Rietschel (Knappschaftskrankenhaus) mehrere Sitzungen erfordern (Preis pro Sitzung: 60 bis mehrere Hundert Euro).