Haltern am See.

Alexander Lebenstein (80) ist der letzte Halterner Jude, der die Deportation überlebte. Nach dem ersten Besuch in seiner Geburtsstadt wurde er sich selbst als Zeitzeuge bewusst

Haltern am See. Er hat unter dem Bösen gelitten und glaubt an das Gute. Hartnäckig und konsequent. Menschen, die ihm begegnet sind, schwärmen von seinem Charisma. Er glaubt nicht nur an das Gute, er kämpft auch dafür. Aber das Gute ist nicht umsonst zu bekommen, hat Alexander Lebenstein (80) gelernt. In seiner Heimat in Richmond/Virginia wirbt er im dortigen Holocaust-Museum, im Jüdischen Zentrum, in Schulen und Universitäten unermüdlich für Toleranz und Versöhnung mit Deutschland und den Deutschen.

Alexander Lebenstein ist der letzte überlebende Halterner Jude. Er ist kein Intellektueller, kein Bücherschreiber, kein Filmemacher. Von Beruf war er Metzger, betrieb eine koschere Metzgerei in New York. Das hätte er wahrscheinlich auch in Haltern getan, wo die Eltern eine Metzgerei im Haus Disselhof 36 hatten. Doch die Nazis kamen dazwischen. Aus dem Konzentrationslager Stutthoff nahe Danzig, wo er als Jugendlicher beim Bau von U-Booten eingesetzt war, gelang ihm mit Hilfe russischer Truppen die Befreiung. Im Herbst 1945 kehrte er heim nach Haltern. Die Nazis waren besiegt, aber der Judenhass im Lande hatte überlebt. So floh er weiter in die USA, wo seine beiden älteren Schwestern lebten.

1988 suchte die Stadt Haltern Kontakt zu ihm. Lebenstein lehnte ab. 17 Jahre später erklärte er dies vor Studenten der James Madison Universität so: "I wanted nothing to do with them. I stopped speaking German. I stopped thinking German." Dass er dann doch eines Tages bereit war, nach Haltern zurückzukehren, lag an einem Brief, den ihm Schüler der Böckler-Kollegschule geschrieben hatten. Sie planten eine Ausstellung über das Leben der Juden in Haltern vor, während und nach der Nazi-Diktatur. Lebensteins Familie sagte ihm, dass er fahren müsse. "So I did." 1995 reiste er. Nicht um zu vergeben, denn das sei unmöglich, "aber um Toleranz zu lehren".

Vor der Begegnung hatte er einige Namen aufgeschrieben von Halternern, die er gerne treffen wollte. Walter Droste, zum Beispiel, der inzwischen verstorbene Standesbeamte. "Es gab viele gute Menschen in der Stadt", sagte er später im WAZ-Interview. Keine wie in "Schindlers Liste", aber Bekannte, zu denen sich die Eltern und der elfjährige Alexander in der Pogromnacht 1938, als die jüdischen Geschäfte geplündert wurden, flüchten konnten; Freunde, die die Lebensteins im Getto an der Münsterstraße 28 mit Essen versorgten. Nach Schließung ihrer Geschäfte 1938 waren die Juden auf die staatliche Fürsorge angewiesen, die aber 1939 eingestellt wurde.

Für die jüdischen Familien wurden die Lebensverhältnisse immer schwieriger. Am 10. Januar 1942 musste Vater Nathan Lebenstein erklären, dass er die von den Behörden geforderten 50 Reichsmark für die Deportation der dreiköpfigen Familie in den Osten nicht aufbringen kann. Wenige Wochen später wurde die Familie deportiert. Nathan Lebenstein starb am 23. März 1942 in Riga. Seine Ehefrau Lotte gilt als verschollen, wurde höchstwahrscheinlich in Auschwitz vergast. Alexander Lebenstein kam in verschiedene Lager. "Ich war schon so kräftig, dass ich arbeiten konnte."

Nach seinem ersten Besuch in Haltern am See schien es Alexander Lebenstein wichtig, den Dialog zwischen seinem Geburtsort und seiner neuen Heimat aufrecht zu erhalten. "Er wurde sich selbst verstärkt seiner Rolle als Zeitzeuge bewusst", sagte Halterns Kulturreferent Georg Nockemann, nachdem er Lebenstein zu seinem 80. Geburtstag in Richmond besuchte.

1995, 2003, 2006 besuchte Lebenstein Haltern. Immer suchte er das Gespräch mit jungen Menschen, diskutierte mit Schülern der Realschule, die, als sie 2003 den Titel "Schule gegen Rassismus - Schule mit Courage" erhielt, ihn zum Paten wählten.