Recklinghausen. Am Fest der Liebe eingesperrt zu sein, das ist schwer zu ertragen. Zu viel Besinnlichkeit tut da nicht gut. Viele Knackis verschlafen den Tag deshalb. Wer sich aber traut, denkt nach über Gott, die Welt – und sich.

Im Knast gibt's heute Ente mit Rotkohl und Klößen. Das unterscheidet den Tag deutlich von anderen. Und wer Glück hat, kriegt für ein paar Minuten netten Besuch. Oder ein hübsches Päckchen. Die Überraschung allerdings dürfte sich in Grenzen halten, das Strafvollzugsgesetz schreibt allzu genau vor, was drin sein darf in der bis zu fünf Kilo schweren Box. Immerhin: Tabak und Kaffee, die kleinen Freuden des Alltags, sind erlaubt. Auch die Caritas verteilte schon Pakete.

Vorweihnachtlicher Gottesdienst in der JVA Außenstelle der Krümmede in Recklinghausen. Der Gefängnisseelsorger Claus Krämer leitet den Gottesdienst für die hauptsächlich jugendlichen Gefangenen im Dezember 2008. Foto: Dirk Bauer / WAZ
Vorweihnachtlicher Gottesdienst in der JVA Außenstelle der Krümmede in Recklinghausen. Der Gefängnisseelsorger Claus Krämer leitet den Gottesdienst für die hauptsächlich jugendlichen Gefangenen im Dezember 2008. Foto: Dirk Bauer / WAZ © WAZ

Wem der Sinn nach Besinnlichkeit steht oder einfach nur nach Abwechslung, der kann eine der Andachten besuchen. Ansonsten bleiben die Zellen zu, ist Heiligabend ein Tag wie jeder andere hinter Gittern. „Meistens sind die Gefangenen sehr ruhig, klinken sich aus, verschlafen den Tag ”, sagt Thomas Block-Welz, Vize-Leiter des Gefängnisses an der Limperstraße. So entgehen sie trüben Gedanken und der Sehnsucht nach Freiheit, nach den Menschen jenseits der Mauern. „Ich weiß, dass ich Bockmist gebaut habe”, sagt ein Vater zweier Kinder, der wegen Betruges noch Monate einsitzt. „Trotzdem ist es eine schwierige Situation. Auch für die, die draußen sind. Die können nichts dafür und sind nur traurig.” Schlimm für den 26-Jährigen ist: Seine „Kleine” hat am 27. Dezember Geburtstag, wird ohne Papi zwei Jahre alt.

Trost in schwierigen Momenten spendet JVA-Seelsorger Hermann Pachowsky. Der Diakon arbeitet das ganze Jahr über mit den Inhaftierten, hat verschiedene Gruppen für sie ins Leben gerufen und immer ein offenes Ohr. „Er tut so viel für uns”, schwärmt ein 32-Jähriger, den Drogengeschäfte und Betrügereien hinter die dicken Mauern gebracht haben.

Für ihn war deshalb klar: Die Adventsfeier, die der Diakon vor einigen Tagen mit der Knastgruppe der Gastkirche veranstaltete, wollte er nicht verpassen. Für Beobachter schien gewagt, was der 59-Jährige vorhatte: Menschen, die anderen viel Schlimmes angetan haben, wollte er „medidativ-besinnlich” aufs Fest der Liebe einstimmen, ihnen biblische Gedanken mit auf den Weg geben. Es funktionierte.

Im Stuhlkreis saßen sie da, die muskelbepackten Männer in Jogginghosen. Senkten den Blick zu Boden, verschränkten die Arme, hörten zu. Nur ein einziges „Pssst”, ansonsten war totale Ruhe. Pachowsky erzählte vom Vorweihnachtsstress, der sich draußen breitmachte. „Davon kriegen wir hier drinnen nichts mit, doch wir merken, dass es früher dunkel wird, kälter ist – und vor allem, dass wir nicht die Beziehungen haben, die wir gerne hätten.” Begriffe wie Leben, Licht, Hoffnung fielen. Und Sätze wie „Im Advent ist es gut, wenn man sich die Hand reicht. Das bedeutet, ich will dir nichts”. Die schweren Jungs sangen (sehr zurückhaltend) Lieder wie das von der Weihnachtsbäckerei. Sie legten ein Mandala aus Tannengrün, Strohsternen, Teelichtern, Weihnachtskugeln. Und standen am Ende tatsächlich Hand in Hand im Kreis.

„Die Haft bringt Gefangene zum Nachdenken”, sagt Pachowsky, „über den Sinn des Lebens und über das, was sie getan haben.” Aus Gesprächen wisse er, dass Täter oft Opfer waren, tiefe Verletzungen erlebt haben, die sie zu den Taten bewegt haben. Ein Dieb (40) drückte den Dank für die gemeinsame Feier so aus: „Das war etwas, was den Alltag verschönert, etwas, worüber man auf der Zelle nachdenken kann. Es hat mich berührt: diese Wärme, diese Nähe.”

Schluss nach 105 Jahren

1904, im gleichen Jahr also, in dem ein berühmter Fußballverein aus Gelsenkirchen gegründet wurde, entstand das Gefängnis an der Limperstraße. Exakter Name: Zweigstelle Recklinghausen der Justizvollzugsanstalt Bochum-Langendreer. Es ist eine Anstalt des geschlossenen Vollzugs und aufgenommen werden lediglich Verurteilte, die nicht mehr als zwei Jahre zu verbüßen haben.

Auf drei Etagen gibt es 104 Haftplätze; zu Hochzeiten aber werden bis zu 120 Gefangene untergebracht. Den allermeisten Inhaftierten wird eine Einzelzelle zugewiesen, einige müssen ihre Strafe in Vierer-Zellen absitzen. Betreut werden sie von 33 Bediensteten.

Für diese Beamten hat eine unsichere Zeit begonnen, seit klar ist, dass die Tage des alten Gefängnisses gezählt sind. „Noch ist unklar, wo sie künftig arbeiten werden”, so Thomas Block-Welz, stellvertretender Leiter. Ungeklärt sei auch, wann genau die schweren Tore, die dicken Mauern ausgedient haben. „Schluss ist voraussichtlich Mitte oder Ende des ersten Quartals 2009”, sagt Block-Welz. Das Landesjustizministerium spricht weniger konkret von Frühjahr.

Der Zeitpunkt hängt vor allem davon ab, wann das Ersatzquartier fertiggestellt ist. Im Vest gibt es künftig keine JVA mehr; die Knackis finden ihr Zuhause in einem Neubau der JVA Bochum, der so genannten Krümmede. Was mit ihrem aktuellen Heim passiert, ist noch ungeklärt. Der nordrhein-westfälische Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB), Niederlassung Münster, wird sich darum kümmern, sobald das Ministerium den Auftrag erteilt hat. Zunächst werde dann geprüft, ob sich Immobilie und Grundstück weiternutzen lassen – „was bei einem Knast nicht sehr wahrscheinlich ist”, sagt Barbara Kneißler (BLB-Presseabteilung). Deshalb werde wohl eher darüber nachgedacht, ob sich auf dem Gelände etwas Neues für das Land entwickelt lässt: durch Umbau oder Abriss. Falls auch das nicht geht, stehe der Verkauf an die Kommune oder einen Investor an. deike