Datteln. Unzähligen kranken Kindern hat er kostbare und heilsame Momente mit Musik beschert. Jetzt hat sich Musiktherapeut Dr. Reiner Haus (53) still von Datteln und der Kinderklinik verabschiedet. Er will seinen Beitrag leisten zur Bekämpfung der Flüchtlingsnot in Nordjordanien. Seine Nachfolgerin Ruth Cröpelin (24) weiß, dass sie in große Fußstapfen tritt. Aber jeder hat mal jung angefangen.

Am liebsten möchte Dr. Haus an seinem letzten Arbeitstag und in seinem wahrscheinlich letzten Interview in Datteln gar nicht über sich reden. Schließlich soll doch seine Nachfolgerin vorgestellt werden, auf die er große Stücke hält.

Ruth Cröpelin stammt aus Kleve am Niederrhein. Sie hat Musiktherapie in Nijmegen/Niederlande studiert, dort den Bachelor-Abschluss gemacht. Sie spielt Klavier, Gitarre, Bass, Schlaginstrumente und kann schön singen. Ihr Studium setzt sie in Münster als Master-Studiengang fort. Abschlussprüfung hat sie nächsten Sommer. Bis dahin wird sie drei Tage pro Woche in der Kinderklinik arbeiten: auf der Krebsstation, im Streitenberger-Haus, der Frühgeborenen-Station, mit Hörgeschädigten, in der Psychosomatik-Abteilung sowie als ambulante Musiktherapeutin.

Nach dem Studienabschluss soll sie Vollzeit einsteigen. Unterstützt wird sie zumindest im ersten Jahr von einer Musiktherapeutin im Anerkennungsjahr, die die musikalische Arbeit in der Kleinen Oase, dem Perinatalzentrum im St. Vincenz sowie der integrativen Klinik-Kita übernimmt.

Ein halbes Jahr hat Ruth Cröpelin Dr. Reiner Haus bei der Arbeit zugehört und zugeschaut "und mir einiges abgucken können". Es fasziniert sie, "was Musik emotional auslösen und in der Entwicklung bewirken kann". Zuletzt hat sie auf einer Bonner Frühchenstation erlebt, wie stark Babys auf Gesang reagieren.

Aus dem Musizieren können kranke Kinder Kraft schöpfen, Ängste verarbeiten. Scheinbar apathische Kinder zeigen beim Lauschen ungeahnte Reaktionen. Musiktherapie kann kleine Wunder bewirken bei sprachlicher und koordinativer Entwicklung. Und obwohl all das wissenschaftlich bewiesen ist, gehört Musiktherapie nicht zum Leistungskatalog von gesetzlichen Krankenkassen. "Für die Kassen zählt nicht, was eine Therapie leistet, sondern, was sie kostet", sagt Dr. Haus. Er hat die Hoffnung aufgegeben, dass sie daran noch einmal etwas ändern könnte. Deshalb ist Musiktherapie auch an der Dattelner Kinderklinik auf Spenden angewiesen.

Datteln wird Dr. Haus in guter Erinnerung behalten, vor allem zu Herzen gehende Erlebnisse mit Patienten. Die Arbeit - fast 23 Jahre war er in der Klinik tätig - sei "sehr erfüllend und Sinn gebend" gewesen, sagt Dr. Haus. "Ein toller Job. " Die Klinik zeichne der "Respekt der einzelnen Fachdisziplinen untereinander" aus. Das sei ein Zusammenspiel "superschlauer Köpfe" zum Wohle der Patienten.

Und auch Bürgern der Stadt fühlt er sich zu Dank verpflichtet. "Ich bin mehr als begeistert von der jahrelangen Unterstützung der Dattelner Bevölkerung für die Musiktherapie." Einzigartig nennt er das Engagement der Dattelner Gruppe Sternenkinder, die über den Jason-Radek-Fonds Geld für Musiktherapie erwirtschaftet. Jason, schwer krank zur Welt gekommen und früh verstorben, war so eine zu Herzen gehende Patientengeschichte. In der Musiktherapie sprach der bis dahin stumme Jason das Wort, das zu hören sich seine Mutter so gewünscht hatte: "Mama".

Und dennoch bricht Dr. Haus alle Zelte ab. Am 1. Oktober geht‘s nach Amman/Jordanien. Gemeinsam mit seiner Frau Heidi - die vier Kinder des Paares sind längst erwachsen - will er die nächsten sechs Jahre lang für ein Flüchtlingshilfeprojekt des christlichen Fachkräftedienstes arbeiten. Sozialarbeiterin Heidi Haus wird Mädchen und Frauen zur Textilgestaltung anleiten, um ihnen eine Perspektive zum Broterwerb zu eröffnen.

Dr. Reiner Haus wird mit vom Krieg im benachbarten Syrien traumatisierten Kindern und Jugendlichen arbeiten - mit Musik. "Erst einmal werden wir arabisch lernen und vom UNHCR unterwiesen." Das ist das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. "Uns reizt die Aufgabe, zusammen zu arbeiten", sagt Dr. Haus.

Aber er fühle sich vor allem verpflichtet, Flüchtlingen vor Ort zu helfen. "Europa hat eine geschichtlich gewachsene Verantwortung gegenüber dem Nahen Osten. Lange wurden Scheindemokratien unterstützt. Jetzt müssen wir uns nicht wundern, dass Flüchtlingsströme zu uns kommen." Er wolle einen "kleinen Beitrag" leisten, Flüchtlingen zu helfen und eine Perspektive zu geben, in ihrem Land zu bleiben. Dafür hat Dr. Haus seinen sicheren Job aufgegeben. Was nach den sechs Jahren in Jordanien sein wird, lässt er auf sich zukommen…

Den langzeitbeatmeten Kindern und Jugendlichen im Streitenberger-Haus hat Dr. Haus einen Abschiedsgruß da gelassen. An seinem letzten Arbeitstag hat er noch schnell einen Rap aufgenommen: Klaviermusik, zu der die Kinder demnächst beim Herbstfest mit ihren Betreuern singen werden.