Mettmann. . Regelmäßig bietet das Neanderthal-Museum in Mettmann Bogenbauseminare an – die genauso regelmäßig ausgebucht sind. Geleitet werden die Kurse von Dr. Johann Tinnes. Der Prähistoriker beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit den alten Jagdwaffen. Eine Stippvisite.
Kreatives Chaos in der Neandertaler Steinzeitwerkstatt: Auf den Tischen liegen Werkzeuge verstreut, auf dem Boden Holzspäne. Es riecht nach Sägemehl und feuchtem Gras. Hier wird geschnitzt, gefeilt und eben auch gehobelt. Zwölf Teilnehmer, eine Aufgabe: Sie alle wollen Pfeil und Bogen bauen. Dr. Johann Tinnes leitet den Wochenendworkshop. Der Prähistoriker hat den Bogen schon längst raus. Er baut seit über 30 Jahren die hölzernen Schusswaffen.
Sind die Bögen zwar ihren Vorbildern aus vergangenen Jahrhunderten nachempfunden, arbeiten die Teilnehmer heute doch mit anderem Werkzeug. Feuersteinklingen und mit Sand beklebtes Rohleder werden heute durch Säge und Schleifpapier ersetzt. Die Bögen sind aus Hickory, einer amerikanischen Walnussart. Die Bogensehne ist aus Dacron, einer speziellen Kunstfaser. Früher wurden die Sehnen oft aus Pflanzenfasern hergestellt. „Der Ötzi beispielsweise hatte damals eine Bogensehne aus Lindenbast bei sich. Aber auch Brennnesseln eignen sich gut, die haben sehr lange Fasern“, weiß Tinnes.
Hightech aus der Natur
Das Wichtigste beim Bogenbau: Die Waffe muss sich perfekt biegen. „Jeder Zentimeter muss arbeiten. Wenn ein Arm stärker belastet wird, kann der Bogen brechen“, warnt der Prähistoriker. Um das zu vermeiden, kommt der Bogen auf’s Tillerbrett: eine Vorrichtung, mit der man die Biegeform überprüfen kann. Eine runde Sache, findet auch Lukas Dross. Der 29-Jährige baut im Rahmen des Workshops einen Steinzeitbogen. „Mein erster“, sagt er stolz, und reckt die hölzerne Waffe in die Luft.
„Ich bin erstaunt, was die Menschen früher schon auf dem Kasten hatten. Das ist Hightech aus der Natur! Nachhaltig, ressourcenschonend, stark und leicht“, meint Lukas Dross beeindruckt. Wo seine Liebe zum Tüfteln wurzelt, wird schnell klar: Der Solinger ist Ingenieur. „Ich arbeite viel am Computer. Aber hier ist es das schönste Gefühl, am Ende des Tages etwas erschaffen zu haben und es in den Händen halten zu können.“
Nach gut zwölf Arbeitsstunden geht es auf die Zielgerade zu. Die Bögen werden mit Öl behandelt, damit sie nicht feucht werden. „Der Bogen muss gut sein – der Pfeil noch besser“, spricht Tinnes aus Erfahrung. Deshalb nimmt der Mentor sich auch besonders viel Zeit, um seinen Schützlingen die Kniffe des Pfeilbaus beizubringen. Die haben sich inzwischen im Halbkreis um den Prähistoriker versammelt. An den Wänden der Werkstatt hängen Tierfelle. Eher dekoratives Beiwerk als Trophäen vergangener Jagdzüge.
Aus einem grauen Köcher zieht der Doktor der Urgeschichte Dutzende von Exemplaren. „Im Mittelalter wurden die Pfeile aus Kiefernholz hergestellt – fast Besenstiele waren das“, frotzelt Tinnes. Heute ist der Großteil der Pfeile aus Fichtenholz. Das ist leicht und belastbar. Um den Pfeil stabiler zu machen, braucht es nicht nur Federn, sondern auch Wicklungen am Schaft. Der Hanf dafür liegt schon auf dem Tisch und lockt sich wie langes, dunkelblondes Haar über die hölzerne Oberfläche. Wenige Handgriffe und die Wicklung ist fertig. „Und jetzt ihr“, fordert Tinnes auf und grinst.