Neviges. . Jeden letzten Sonntag im Monat schwingen Senioren aus Velbert und Umgebung in der Gaststätte „Haus Sondermann“ mit Spaß das Tanzbein. Die meisten Stammgäste reservieren schon vorher einen Tisch.
Dieter war heute schon zum Mittagessen da. Zum einen, weil das Essen „super ist“, wie der 72-Jährige versichert. Aber auch, um schon mal im Vorfeld einen Blick auf die Damenwelt zu werfen. Nicht, dass er unbedingt etwas Festes sucht, war doch „Purzelchen das schönste Mädchen in ganz Wuppertal“. Doch nach dem Tod seiner Ehefrau sehnt sich Dieter schon nach „Liebe, Wärme, Kuscheln“. Oder, wie er mit vielsagendem Blick bemerkt: „Ich brauche eine Frau, mit der ich was anfangen kann.“ Und die hofft Dieter beim Tanztee im „Haus Sondermann“ zu finden.
In der traditionellen Gaststätte an der Siebeneicker Straße geht jeden letzten Sonntag im Monat die Post ab, wenn Pianist und Sänger Gabriel ab 15 Uhr in die Tasten seines Keyboards greift und die etwas ältere Jugend aufs Parkett bittet. Was heißt bittet, so schnell kann man gar nicht gucken, wie sich die Tanzfläche füllt. „Das ist heute noch gar nichts,“, meint Lieselotte und winkt ab. „Die sind wohl nach Weihnachten alle in Urlaub, sonst kriegen Sie hier ohne Reservierung keinen Platz.“ Lieselotte zupft am Kragen ihres apricotfarbenen Blazers und blickt suchend Richtung Eingang. Wo sie nur bleiben, ihre Freundin Ursel nebst Sohn, der seine Mutter immer treu und brav chauffiert?
Bloß nicht immer zu Hause hocken
Lieselotte, die ihr Alter nicht verraten will, gehört seit etwa zehn Jahren zu den Stammgästen und weiß, was sie jeden letzten Sonntag im Monat zu tun und zu lassen hat. „Ich habe Söhne, Enkelkinder, aber man kann ja nicht immer zu Hause hocken.“ Sondern lieber rausgehen, Spaß haben. Ihr Rat an die „jungen Leute“: „Nicht immer nur an später denken, heute wird gelebt.“ Und vor allem getanzt. „Wärst du doch in Düsseldorf geblieben...“schmettert Entertainer Gabriel, der wohl wichtigste Mann des Tages und haut dabei ordentlich in die Tasten. „Ich finde das klasse hier, die Herrschaften machen mit, das macht einfach Spaß.“ Der ausgebildete Pianist hätte noch gern ein bisschen mehr erzählt, aber da hat er die Rechnung ohne Doris und Heinz gemacht, das tanzbegeisterte elegante Ehepaar, das so schön in formvollendeter Haltung zum langsamen Walzer dahinschwebt – und das auch möglichst schnell wieder tun möchte. „Reden können Sie doch später“, meint Doris mit strafendem Blick auf meinen Reporterblock.
Kein Ausflug mit der Verwandtschaft
Die kleine Pause kommt Gerda, die mit ihren Freundinnen Hedwig, Ingrid und Renate am Tischsitzt, gerade Recht, da verpasst sie wenigstens nichts. „Ich habe sechs Kinder großgezogen, habe zehn Enkel und elf Urenkel.“ Noch schnell ein Bissen vom leckeren Apfelkuchen. „Klar, Familie ist wichtig.“ Aber heute, als die liebe Verwandtschaft nach Wuppertal fuhr, da hat sich die quietschfidele 86-Jährige lieber beim Haus Sondermann absetzen lassen. Spaß haben will sie hier, sich vergnügen. Und vielleicht auch einen Mann finden? „Ach nein, ich hatte einen so tollen, so etwas finde ich sowieso nicht mehr.“ Allerdings, so erinnert sie sich: „Es gab da mal einen Herren, der hat mich immer geholt. Aber der ist wohl gestorben.“
Auch die herrlich jung wirkende Witwe Rosemarie (80) ist sicher: „Ein Mann kommt mir nicht mehr ins Haus.“ Eigentlich wollte sie mit ihrer Tochter hier ja nur eine Kleinigkeit essen, bevor sie am Tag drauf in den Flieger nach Abu Dhabi steigt. Dass Sonntags Tanz ist, hatte sie ganz vergessen. „Verliebt, verloren, vergessen, verzeihn“ dröhnt es durch den Saal, und für die fröhliche Rosemarie gibt’s kein Halten. Soll das Essen ruhig kalt werden.
Immer wieder sonntags kommen auch die Männer der ersten Stunde
Ottmar (87) und Kurt (79) gehören mit ihren Ehefrauen Marielise und Edeltraud zu den Männern der ersten Stunde. „Wir haben das hier erfunden“, lacht Kurt, der seine Frau beim Tanzen kennengelernt hat – allerdings in Berlin. Viele kommen und gehen als Paar, ein bisschen zum Leidwesen der Freundinnen Ellen (75) und Gerda (73). „Das ist überall so, zu wenig Männer. In Dortmund, im Laufsteg, da sitzen die Frauen wie Hühner auf der Stange.“ Dann lieber in Neviges Spaß haben, und zum Tanzen gibt es ja auch noch Männer wie Dieter. Der ist nicht so recht sicher, ob er weiterhin sonntags hier auftaucht. „Ich hätte es doch gern etwas jünger.“ Damit hat Sonja kein Problem: „Alles Quatsch. Alter ist völlig zeitlos.“