Velbert. . Anfangs haperte es mit der Sprache, aber dann wurden Jugendlichen aus Velbert und Châtellerault schnell zur Einheit. Erinnerungen an einen Austausch in 1965.

Nun sollte der Zug nach Paris tatsächlich mehr als eine Stunde Verspätung haben! Da wir alle müde waren, versetzte uns diese Durchsage des Stationsvorstehers vollends in Lethargie. Der 3. August 1965 war gefüllt mit Besichtigungsterminen: 9 Uhr Maria Laach, dann Koblenz, um 14.30 Uhr per Ausflugsdampfer rheinaufwärts bis Bingen. Ein Triebwagen brachte uns anschließend nach Kaiserslautern. Um 21.15 Uhr trafen wir dort ein. Alle freuten sich auf ihre Schlafwagen-Plätze, und nun sollte es erst um 22.50 Uhr weitergehen. Wir verteilten uns enttäuscht auf die wenigen Bänke des Bahnsteigs.

Wir, das waren 50 Jugendliche, 16 bis 18 Jahre alt, sowie zwei deutsche und zwei französische Betreuer. Je zur Hälfte kamen wir aus Velbert und aus Châtellerault im Département Vienne nahe Poitiers. Erst ein Jahr zuvor wurde der „Jumelage“-Vertrag zwischen Velbert und Châtellerault unterzeichnet; wir waren die zweite Jugendgruppe, die während der Ferien einen Monat lang mit französischen Partnern zusammen sein sollte.

Neubeginn mit dem Erzfeind

Zunächst hatten wir gemeinsam zwei Wochen in unseren Velberter Familien verbracht. Nun erwarteten uns eine Woche in einem Jugendcamp an der französischen Atlantikküste und eine Woche in den französischen Familien in Châtellerault. Das Jugendcamp hatte die „Association des Anciens Combattants“ (der Verein ehemaliger Kriegsteilnehmer) als Konsequenz des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages von 1963 eingerichtet, und zwar in St-Georges-de-Didonne bei Royan. Seit Abschluss des Freundschaftsvertrages gab es in beiden Ländern Ansätze, mit dem „Erzfeind“ einen Neubeginn des Kontaktes zu wagen. Die deutschen Jugendlichen wurden von den Kriegsveteranen herzlich begrüßt und kamen mit ihnen schnell ins Gespräch. Die meisten der älteren Herren waren in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen, sprachen einige Brocken Deutsch. Aber Sprachunterricht zu haben und sich in einer fremden Sprache unterhalten zu können, sind zwei verschiedene Dinge. Die französischen Jugendlichen hatten Goethes Faust im Unterricht durchgenommen, konnten aber nicht auf Deutsch ausdrücken, dass sie gern ein Glas Wasser hätten. Den deutschen Jugendlichen fiel das Gespräch nicht leicht. Aber der für ein Gespräch nötige Grundwortschatz ist gar nicht so groß – man merkt sich bald die alltäglichen Floskeln, die wichtig sind fürs Überleben.

Der verspätete Zug brachte uns bis 6.15 Uhr nach Paris. Dort stiegen wir in Richtung Tours um und erreichten Châtellerault am Mittwochmittag. Am nächsten Tag fuhren wir weiter zum Atlantik und bezogen das Zeltlager in St-Georges-de-Didonne. Hier verbrachten wir eine herrliche Woche zwischen Strandleben und Discobesuchen. Der Koch ließ uns fremdartige Meeresfrüchte probieren, wir fühlten uns wie Gott in Frankreich. Zurück in Châtellerault waren wir eingebunden in die Gastfamilien und das Programm. Besichtigungen der Loire-Schlösser und der Sehenswürdigkeiten von Poitiers waren vorgesehen. Am 25. August ging’s zurück nach Velbert.

Vier Wochen mit unseren französischen und deutschen Freunden verlebt zu haben, hat uns geprägt und verändert. Das Wichtigste war vielleicht, dass keiner sich nach diesem Urlaub mehr vorstellen konnte, wie man gegen ein Land, deren Bewohner uns mit so offenen Armen empfangen hatten, jemals wieder Krieg führen könnte.