Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen Landbesitzer Jäger nicht mehr zwingend auf ihre Ländereien lassen. Die WAZ im Gespräch mit einem Juristen und Jäger
Europa, da gibt es nicht nur Rettungsschirme für Banken und notleidende Staaten. Europa ist jetzt auch der Kontinent, der in Deutschland viele kleine Rettungsschirme für Rehwild, Hasen und Wildschweine aufspannen will. Dafür sorgte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (EGMR). Ein Baden-Württemberger, der zwei unter 75 Hektar große Stücke Land besitzt, hatte dagegen geklagt, dass Jäger auf sein Land dürfen, um zu jagen – unabhängig davon, ob er als Eigner das nun will oder nicht. Das Gericht gab ihm Recht: Die Jagd auf seinem Grundstück muss er nicht zulassen, wenn er etwa das Töten von Tieren aus ethischen Gründen ablehnt. Ein einschneidendes Urteil.
Konflikt mit Menschenrechten
Markus Koch, Presseobmann des Hegeringes Neviges, erklärt die neue rechtliche Situation im WAZ-Gespräch. Denn: Auch in Velbert und Umgebung dürfte es einige Grundstückseigner geben, die betroffen sind. Der Rechtsanwalt ist selbst auch Jäger, kennt sich aus. Zum Sachverhalt erläutert er: „Bislang ist es hierzulande so, dass alle Eigentümer bejagbarer Grundstücke bis 75 Hektar Zwangsmitglieder in Jagdgenossenschaften sind.“ Nach dem Urteil des EGMR könne genau das aber in Konflikt mit den EU-Menschenrechtskonventionen kommen, erklärt Koch und wird konkret: „Der Gerichtshof bestätigte unter Hinweis auf bisherige Rechtsprechungen in Frankreich und Luxemburg, dass die Verpflichtung zur Duldung der Jagd auf eigenen Grundstücken eine unverhältnismäßige Belastung für solche Eigentümer darstellen kann, die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen.“
Noch habe die EU-Entscheidung keine unmittelbare Gesetzeskraft, wohl aber den Rang einfachen Bundesrechts. Die Bestimmungen des Bundesjagdgesetzes und die Jagdgesetze der Länder haben vorerst Bestand.
Das heißt: flächendeckende Bejagung ist möglich. Für die Zukunft muss der Gesetzgeber das Straßburger Urteil im Bundesjagdgesetz (BJG) aber umsetzen. Koch: „Möglich wäre, dass Grundstückseigentümern das Recht eingeräumt wird, unter bestimmten, engen Voraussetzungen bei der Jagdbehörde zu beantragen, ihre Grundstücke zum befriedeten Bezirk erklären zu lassen.“ Bis zu einer Gesetzesänderung, so der Presseobmann, sind Jagdbehörden und Gerichte weiterhin an die geltenden Jagdgesetze gebunden. Jäger müssen aber in Kauf nehmen, dass Grundstückseigentümer auf Unterlassung klagen. Das Wild, das sich dann auf dem Land solcher Kläger aufhält, kann sich dann gewissermaßen entspannt zurücklehnen: Vor Jägern jedenfalls muss es vorübergehend keine Angst haben.
Eine zügige Umsetzung des EU-Urteils in Bundes- und Länderrecht ist beste Voraussetzung, unter Jägern und Gegnern der flächendeckenden Bejagung „Waldfrieden“ herzustellen.