Langenberg. . Zum Welttag des Buches verteilte Norbert Schäfer in der S 9 Thomas Brussigs „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“.

„Es wird mich doch wohl keiner fragen: ,Verteilen Sie den Koran?‘“ Der Gedanke ging gestern Norbert Schäfer durch den Kopf. Er gehört zu denen, die am gestrigen „Welttag des Buches“ Bücher verschenkten. Dies zum größeren Teil in der S-Bahn (S9) von Langenberg nach Essen und zurück.

Norbert Schäfer, Lehrer für Kunst und katholische Religion an einer bischöflichen Schule in Essen, hatte sich für diese Aktion vom Autor Thomas Brussig „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ ausgesucht. Thomas Brussig ist Berliner. Ost-Berliner. Die Sonnenallee gab es zweimal in Berlin. Das kürzere Ende lag in Ost-Berlin. Schon beim flüchtigen Durchblättern fällt eines auf: Die Bewohner des kürzeren Endes der Sonnenallee hatten tatsächlich den Kürzeren gezogen. So wie es vom Sprichwort „den Kürzeren ziehen“ bekannt sein dürfte. Von wegen Weltstadt Berlin. Eher ein bisschen spießig-miefig.

Nur ein Beispiel: Ein Schüler wollte über die Schach-Arbeitsgemeinschaft informieren. Hatte sich dafür, damit es auffälliger wurde, die Schachfigur König ausgesucht. Nicht den Bauern. Das war im Arbeiter- und Bauernstaat schon eine Provokation. Der König aber trug zudem ein Kreuz. Erst ein Schmarotzer, dann auch noch einer mit einem christlichen Symbol. Provokation hoch drei! Die Schulleiterin tobte. Keine Spur davon, dass ausgerechnet die Sowjetunion über Jahrzehnte hinweg die Schach-Topspieler stellte.

„Ich lese gerne im Zug. Vor allem, wenn ich keinen finde, mit dem ich mich unterhalten kann“, sagt Schäfer (58) und setzt fort: „Ich sehe auch immer viele, die im Zug lesen.“ Viele Langenberger werden ihn durch sein politisches Engagement kennen. Er sitzt als Sachkundiger Bürger in der SPD-Fraktion Im Bezirksausschuss Langenberg.

Ob er den Koran verteile, das fragte übrigens keiner im Zug. Vielmehr hörte man oft genug: „Sehr freundlich von ihnen. Vielen Dank!“ Auf die WAZ-Nachfrage aber sagten viele: „Och, ich würde in den Koran mal reinschauen. Nur habe ich bisher noch keinen.“

Mit einigen der Beschenkten kam Schäfer auch ins Gespräch. So mit dem Langenberger Ralf Nowacki, der einst bei der Bundespost arbeitete und mit Erich Faltenmeier, der aus München stammt. „Ja, wir Bayern werden hier nicht richtig wahrgenommen. Dass ich schon seit 37 Jahren hier wohne, nimmt kaum einer zur Kenntnis.“ Faltenmeier wohnt in Niederwenigern, verdient sein Geld als Dozent in der Folkwangschule Essen. Das Buch kannten beide nicht, wollen es aber sofort lesen.

So wie es zwei Sonnenalleen gab, so gibt es auch zwei Verlage, die das Buch heraus brachten. Das Taschenbuch, das Schäfer verteilte, erschien im Fischer-Taschenbuch-Verlag. Der einstige DDR-Verlag „Volk und Welt“, dort der größte Belletristik-Verlag, hatte es ebenfalls im Angebot. Thomas Brussig (Jahrgang 1964) ist jetzt in der Poetik-Dozentur der Uni Koblenz angestellt.