Velbert.

In ein tiefschwarzes Loch fiel Adelheid Meier (Name von der Redaktion geändert), als ihr Mann vor acht Jahren starb. Und dann wanderte der Sohn auch noch nach Australien aus.

Depressionen, Ängste, das Gefühl, allein zu sein. Tochter Lisa Schulze (Name geändert), die einzige Verwandte, die in der Nähe lebt, krempelte die Ärmel hoch und versuchte nach Leibeskräften, der 85-jährige Mutter zu helfen, ihr neue Lebensperspektiven aufzuzeigen. „Das kostet Kraft. Immer noch. Immer mehr“, sagt die 55-Jährige.

Die Neurologen sind der Meinung, Adelheid Meier sei dement. Tochter Lisa ist sich nicht ganz sicher, wünscht sich insgeheim, dass ihre Mutter unter Depressionen leidet. „Die Auswirkungen, die Symptome sind oftmals gleich“, habe sie sich belehren lassen. Sie mag nur schwer einsehen, dass die Mutter tatsächlich dement ist.

Heute wohnt die Mutter in der Seniorenresidenz an der Kastanienallee. „Ein wunderbarer Ort für alte Menschen“, schwärmt Tochter Lisa und lobt das Engagement der Pflegekräfte. „Sie tun alles für meine Mutter.“ Noch bis vor zwei Jahren hat die Seniorin allein in ihrer Wohnung gelebt, sich selbst versorgt. Dann erkrankte sie an einer Blutarmut, litt plötzlich unter Halluzinationen. Nach dem Klinikaufenthalt gab es für die Mutter kein Zurück in die eigenen vier Wände. Tochter Lisa musste handeln, ein Seniorenheim aussuchen, aber auch unbedingt etwas für sich selbst tun. „So habe ich an einem Qualifizierungskurs zur Betreuung von Menschen mit Demenzerkrankungen teilgenommen. Das beste, was ich machen konnte“, weiß sie heute.

Mal abgesehen davon, dass sie andere Betroffene kennengelernt hat, „sind mir wichtige Verhaltensmuster beigebracht worden“. Sie weiß jetzt hinzunehmen dass Mutter ihre heiß geliebte Handpuppe Hanni ganz nah bei sich braucht. „Sie flüchtet sich in eine andere, in eine heile Welt.“ Im Kurs gelernt hat Lisa Schulze, „mich meiner Mutter nicht mehr direkt gegenüber zusetzen, sondern seitwärts. So hat sie eher eine Fluchtmöglichkeit.“ Auch sorge sie nicht mehr sofort für Ordnung im Zimmer der Mutter. „Ich setze mich erst ruhig zu ihr, nehme Augenkontakt auf, fasse sie leicht bei der Hand, stelle Nähe her.“ Rituale schaffen für den Erkrankten Erleichterung und Sicherheit. „Wenn ich komme, findet immer der gleiche Ablauf statt. Sie bekommt ihre Weintrauben und die Schokolade, die sie so gerne isst.“ Auch auf Fehler weise sie sehr vorsichtig hin. „Wenn Mutter das Vorderteil des Rocks hinten trägt, sage ich nicht, dass sie etwas falsch gemacht hat, sondern korrigiere spielerisch.“ Sie habe die Erfahrung gemacht, dass „es nichts bringt, auf ein Verhalten zu beharren, etwa, dass Mutter sich jetzt und sofort die Schuhe anzieht. Dann reagiert sie nur störrisch und verärgert.“ Gelernt hat sie im Kurs aber noch etwas: „Ich bin nicht allein mit meinem Problem.“