Velbert . .

Während Großstadt-Jugendämter viele Kinder aus ihren Familien herausholen müssen, antwortet Rüdiger Henseling, Fachbereichs-Leiter „Jugend, Familie, Soziales“ auf die Frage nach einer Zunahme der Vernachlässigung mit einem „vorsichtigen Jein“.

Aber: „Wir haben feststellen müssen, dass sich seit dem tragischen Tod des kleinen Kevin in Bremen die Sensibilität in der Bevölkerung erhöht hat, so dass wir deutlich mehr Hinweise bekommen.“ Zwar habe sich auch in Velbert die Anzahl der so genannten Kindesentziehungen tendenziell erhöht. „Aber was viel deutlicher gestiegen ist, sind die Hilfen zur Erziehung“, erklärt der Leiter der Fachabteilung „Soziale Dienste“, Markus Hackethal.

Zurückzuführen sei das sicher darauf, dass noch genauer hingeschaut werde als früher: „In Velbert gibt es noch eine relativ gut funktionierende soziale Kontrolle durch die Nachbarn. Hier gibt es eine Kultur des Hinschauens, wie sie in einer hochverdichteten, anonymisierten Großstadtkultur nicht greift.“ Da schaue sowohl der Stadtwerkemitarbeiter als auch die Mutter auf dem Spielplatz genau hin.

Auch die Fachabteilung „Soziale Dienste“ hat sich seit dem Fall Kevin intensiv mit der Thematik der Kindesmisshandlung beschäftigt: „Im Jahr 2008 haben wir insgesamt 450 Fachkräfte in Velbert dazu geschult“, erklärt deren Leiter Markus Hackethal. „Und wir haben mit allen Diensten abgestimmt, worauf sie zu achten haben, wenn es ums Thema Kinderschutz geht.“ Etwa darauf, ob Kinder bedrückt oder depressiv wirkten, nicht der Witterung angemessen gekleidet seien oder in der Schule plötzlich weinen. „Das muss nichts Schlimmes bedeuten, aber dem muss man nachgehen – und deshalb gehen wir jeder Meldung nach, egal ob offen oder anonym.“

Rüdiger Henseling hat festgestellt, „dass die Erziehungsfähigkeit allgemein bei vielen Eltern nachlässt. Gemeinsame Mahlzeiten, ein klar strukturierter Tagesablauf, Regeln, wie Kinder sie brauchen – all das wird in unserer Gesellschaft vernachlässigt.“ Die Familie habe nicht mehr dieselbe Stützfunktion wie früher, „und klare Strukturen sind durch moderne Arbeitsbedingungen zerklüftet“.

Wo das Kindeswohl gefährdet ist, würden die Mitarbeiter der „Sozialen Dienste“ immer wieder dieselben Indikatoren feststellen: „Allein erziehende Mütter mit Überforderungsproblemen.“ Oft kämen psychische Probleme hinzu, so dass die Kinder nicht mehr so versorgt würden, wie es sein sollte. „Die spektakulären Fälle mit einem toten Kind im Kühlschrank sind ja nicht der Alltag, sondern Vernachlässigung oder Lieblosigkeit.“

Als Risikofaktor auf den vorderen Plätzen liegen laut Henseling auch Alkohol, Drogen, Arbeitslosigkeit und familiäre Gewalt. Die Polizei sei deshalb angehalten, alle Fälle von familiärer Gewalt dem Sozialen Dienst zu melden: „Da geht dann sofort jemand vom Sozialen Dienst raus.“ Man müsse aber auch zur Kenntnis nehmen: „Wir können die Leute nicht immer ändern – und das sind die Fälle, wo wir Kinder aus den Familien rausnehmen. Sie werden dann bei Pflegeeltern oder in qualifizierten Heimen untergebracht.“