Neviges. Achteinhalb Jahre Gefängnis hat der 15-jährige Peiniger von Kassandra für seinen Mordversuch bekommen. Die WAZ hörte sich gestern in Neviges um und holte Reaktionen ein.

Im Namen des Volkes wurde gestern Mittag der 15-jährige Peiniger von Kassandra zu einer Gefängnisstrafe von achteinhalb Jahren verurteilt. Doch was sagt das Volk zu dem Richterspruch? Ist die hohe Strafe angemessen? Die WAZ befragte in der Nevigeser Innenstadt Bürgerinnen und Bürger, die zum Teil sowohl das neunjährige Opfer als auch den Täter kennen. Rentnerin Elizabeta Rost: „Ich habe im Herbst für das Mädchen im Dom gebetet. Zunächst, dass es überlebt, dann, dass Vergeltung komme.“ Die Frau glaubt, dass der Täter die Strafzeit brauche, um sich seiner Schuld bewusst zu werden.

Es waren gestern nicht viele Menschen in Neviges bereit, sich vor der Presse zum Ende des Prozesses zu äußern. In Gesprächen überwog aber die Erleichterung darüber, dass das Verfahren frühzeitig beendet werden konnte. „Dieses halbe Jahr war hart“, sagt etwa Johannes Rübsam. Der Schausteller ist froh, dass Kassandra ein Auftritt vor Gericht erspart blieb. „Vielleicht hat der Täter ja wegen seiner Einlassung eine etwas geringere Strafe bekommen“, vermutet er. Das Strafmaß – knapp unter der Höchststrafe von zehn Jahren für Jugendliche – findet er völlig angemessen: „Sonst denken viele junge Menschen, Brutalität und Verbrechen bleiben folgenlos.“ Abschreckung, darauf setzt auch der Handelsvertreter Paul Schmitt: „So ein Urteil sollte ein Signal für die Jugend in einer Gesellschaft sein, die zu verrohen scheint: Wer Gewalt ausübt, verpfuscht sein eigenes Leben gleich dazu!“

Zwei Senioren im Park atmen spürbar auf, als sie vom Prozessende erfahren. Auf ihrer Bank unweit des Tatortes an der Turnhalle Tönisheider Straße erinnern sich noch gut an den „Rummel, den ihr Zeitungsleute und die TV-Teams nach dem 14. September hier in unserem beschaulichen Neviges veranstaltet habt“, so Heinz-Günther Habicht. „Ich dachte damals, diese Heimsuchung hört ja gar nicht mehr auf. Die sind ja sogar über Gartenzäune gestiegen, um ein paar reißerische Fotos zu machen.“ Keine klare Meinung haben die beiden Parkbesucher zum Strafmaß: „Hoch muss sie schon sein, denn ohne den wunderbaren Spürhund wäre die Kassandra ja wahrscheinlich tot.“

Drei ältere Damen auf dem Weg zum Schloss Hardenberg, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen möchten, hätten den Verurteilten gerne lebenslänglich hinter Gittern gesehen. „Was dieses Ungeheuer dem armen Kind angetan hat, können wir doch nur ahnen“, gibt eine von ihnen zu Protokoll. Die Nachricht von der Verurteilung löst bei einigen Befragten heftige Gefühlsäußerungen hervor: „Wenn ich Kassandras Vater wäre, würde ich den Täter im Knast besuchen“, so ein Mann in mittlerem Alter vielsagend. „Steinbruch sage ich da nur!“, wünscht sich Siggi Hardtwig.

Aber es gibt auch leise Töne. Etwa von dieser Nevigeserin, die sich im zurückliegenden halben Jahr viele Gedanken um den Fall Kassandra gemacht hat. „Es ist immer schwer, sich über Menschen zu äußern, die in Sichtweite wohnen“, sagt die junge Mutter. Sie halte es bei allen nachvollziehbaren Rufen nach Vergeltung für denkbar, dass der 15-jährige Täter mit dem Urteil in der Tasche endgültig in die Kriminalität abrutsche. „Der wird sich an das Milieu unter Gefangenen gewöhnen, diese problematischen Wertvorstellungen verinnerlichen. Der hat jetzt eine Knast-Karriere vor sich – und daran ist unser Rechtsstaat nicht unschuldig.“