Velbert. Die Einführung einer verbindlichen Lesezeit hat an manchen Schulen für Stress gesorgt, nicht so an einer Velberter Grundschule. Warum das so ist.
In der Gerhart-Hauptmann-Grundschule läutet ein Jingle Punkt Zehn nach Neun eine 20-minütige Unterrichtseinheit der besonderen Art ein. Dann lesen in allen vier Stufen und allen 17 Klassen nämlich knapp 370 Mädchen und Jungen. Alle. An jedem Schultag. „Wie schön, dass wir schon längst fünf mal 20 in Angriff genommen und vorbereitet haben“, habe er gedacht, erzählt Rektor Oliver Pistorius, als er erstmals von der Maßnahme „Drei mal 20 Minuten“ gehört habe.
Vor allem aber sind diese in den Vormittag eingebauten zusätzlichen 100 Minuten in der Velberter Gemeinschaftsgrundschule am Bartelskamp nur ein Baustein von mehreren, damit die Kinder nicht nur das Lesen lernen, sondern daran – und auch an Büchern – auch so richtig Spaß und Freude bekommen.
Velberter Schülerinnen und Schüler sollen Spaß haben
„Wir machen halt eine ganze Menge, um zu motivieren“, resümiert der Schulleiter (seit 2010), „damit die Kinder Bock dazu haben.“ Wenn es mit dem Lesen gut klappe, hätten andernorts gemachte Praxis-Erfahrungen gezeigt, würden Kinder in Neben- und anderen Fächern ebenfalls besser. Eine Schlüsselrolle spiele bei allem auch die Bücherei. Sie ist noch ziemlich neu und viel mehr als eine reine Schulbücherei. Dort wirken Elternhelfer mit, Autoren werden eingeladen. „Und wir fragen die Kinder, was wollt ihr lesen und welche Bücher?“ Grundsätzlich bekomme jemand, der nicht lese, meint Pistorius „viele wichtige Dinge im Leben einfach nicht mit“.
Im Ländervergleich weit abgerutscht
NRW hat zum Unterrichtstart nach den Sommerferien mit dem wohlgemerkt verpflichtenden Leseprojekt „Drei mal 20 Minuten“ begonnen. Dahinter steckt nicht zuletzt das Erschrecken angesichts des verheerend miesen Abschneidens von Grundschülern in der vergleichenden Studie des „Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen“ zum Lesen, Schreiben, Rechnen etc. Es war eine böse Überraschung: NRW war im Ländervergleich richtig tief abgerutscht.
Die Motivation ist hoch
„Die Kollegen sind einfach viel motivierter, weil wir es uns selbst vorgenommen und im Kollegium und der Schulkonferenz beschlossen haben“, berichtet Petra Holtmann. „Und weil wir eben nicht erst auf den Startschuss vom Ministerium gewartet haben“, so die stellvertretende Schulleiterin weiter. Zum gemeinsamen Start um 9.10 Uhr findet sie: „Es gibt einen ganz anderen Spirit, wenn alle gleichzeitig loslegen und machen.“ Man sei im Schulalltag ohnehin auf mehreren Feldern hinterher und wende über den eigentlichen Unterricht hinaus großen Einsatz auf, da viele Kinder scheinbar selbstverständliche Fertigkeiten nicht mitbrächten.
Eingefahrene Kooperationen
Eine langjährige, gewachsene Tradition sind die Zusammenarbeit mit der Kinderbücherei der Stadtbibliothek Velbert und ihrer Leiterin Martina Saint-Martin sowie mit den Rotariern, die zuverlässig dafür sorgen, dass jedes Kind in der dritten Klasse ein Buch bekommt. „Es ist oftmals das erste Buch, das sie haben. Sie dürfen es mit nach Hause nehmen“, sagt Pistorius. Gelesen werde aber gemeinsam.
Freie Auswahl bei der Traumpause
Apropos zusammen: Eine eingeführte Methode des Lesetrainings ist das „Laut-Lese-Tandem“, bei dem ein Kind die „Trainer“-Rolle und ein anderes die des „Spielers“ einnimmt. Zweimal pro Woche ist Zeit für die „Traumpause“. Dann geht’s entweder raus ins Freie oder zur Sozial-Pädagogin: Entweder liest sie dann etwas vor oder das übernehmen ältere Kinder. Weiter hat die Grundschule zwei so genannte herkunftssprachliche Lehrer – eine arabischsprachige Kollegin und einen Türkischsprachigen. Hier geht es um Wertschätzung der jeweiligen Muttersprache der Schüler und um Vergleiche anhand zweisprachiger Bücher. Etwa: „Wie klingt das?“ – „Was, schon fertig? Das waren ja viel kürzere und weniger Sätze.“
Projekt mit der Uni Wuppertal
Nicht zuletzt zählt die Gerhart-Hauptmann-Schule zu den 50 Schulen, die mit der Uni Wuppertal kooperieren und bei der Studie und dem Förderprojekt „LesebandNRW“ mit von der Partie sind. Es ist auf drei Jahre angelegt und geht mit Diagnostik – die erste war im August – einher, die zwischenzeitlich erneuert und natürlich noch einmal am Ende stattfindet. „Wir bekommen selbst auch Diagnose-Material und Ergebnisse“, erzählt Petra Holtmann, „und das Online-Tool für unsere weitere Arbeit.“ Man habe zunächst reiflich überlegt, „ist das überhaupt was für uns“, sei dann aber zu dem Schluss gekommen, dass man Lesenlernen und -fördern noch optimieren könne. Außerdem bekomme die Schule Lesematerial von der Stiftung „Auridis“ in Mülheim/Ruhr.
Neben dem 25-köpfigen Lehrerkollegium am Bartelskamp gibt es zu dessen Entlastung einen so genannten Alltagshelfer. Zum 1. November ist die Stelle einer sozialpädagogischen Fachkraft ausgeschrieben, die bei den i-Dötzchen eingesetzt wird. Der Job ist noch nicht vergeben.
>>> Neuer Anbau für das 17. Klassenzimmer
Die Gerhart-Hauptmann-Schule war ursprünglich vierzügig ausgelegt, sie läuft mittlerweile allerdings schon sowohl in der ersten als auch der zweiten Stufe fünfzügig.
Das Gebäude ist bereits erweitert worden; aktuell wird linker Hand zum Schulhof hin ein Anbau für das 17. Klassenzimmer erstellt. Das soll Anfang 2024 zum zweiten Schulhalbjahr fertig sein. Die Fassade wird vom Anbau bis zum Haupteingang einheitlich gestaltet.
Die betroffenen Kinder werden zurzeit in OGS- und Differenzierungsräumen betreut und unterrichtet.