Velbert. Die ersten Geflüchteten aus der Ukraine sind am Freitagmorgen in Velbert eingetroffen. Die Anteilnahme ist groß, die Sorgen aber auch.

„Migration ist ein existenzieller Akt, der uns unseres Schutzes beraubt, uns gnadenlos einer Welt aussetzt, die uns schlecht versteht, wenn überhaupt“, hat Salman Rushdie einmal geschrieben, der indisch-englisch-US-amerikanische Schriftsteller, der qua Herkunft einiges über das Thema wissen muss. Wenn also 30 Menschen nach Velbert kommen, fast ausschließlich junge Frauen mit kleinen Kindern, ihr Land im Krieg verlassen müssen – die Ukraine in diesem Fall –; ein Land, in dem ihre Männer zurückbleiben, die dort Waffen in die Hand nehmen und dabei vielleicht sterben werden, ist Migration ein existenzieller Akt im absoluten Wortsinn: Es geht für diese Menschen und ihre Familien ums Überleben.

Organisiert hatte ihre Flucht die IHLA, die Integrationshilfe Langenberg, in Kooperation mit den Rotariern, dem Lions Club sowie ihren dazugehörigen Frauen-Organisationen Inner Wheel und Soroptimisten. Um kurz vor neun rollte der Bus, den das Heiligenhauser Unternehmen Breiden samt zweier Fahrer (einer davon Chef Michael Breiden höchstpersönlich) zur Verfügung gestellt hatte, auf den Parkplatz vor dem Parkhotel. Im Untergeschoss ist ein großer Frühstückssaal samt Büffet für die Geflüchteten hergerichtet worden.

Die Stimmung im Velberter Hotel ist gedämpft

Die Stimmung dort ist etwas gedämpft, aber nicht miserabel; Kinderlachen ist deutlich zu hören, Unterhaltungen, Stimmen von Menschen, die in den letzten Tagen alles zurücklassen mussten, was sie in ihrem Leben sicher geglaubt hatten, und sich plötzlich in einem Land wiederfinden, das nicht das ihre ist: andere Sprache, andere Bräuche, andere Gesichter.

„Es waren 1350 Kilometer von hier bis an die polnisch-ukrainische Grenze, dort haben wir dann ein riesiges Flüchtlingslager angefahren“, berichtet Busfahrer Breiden. Genau hier haben die Freiwilligen die Menschen angesprochen, sie überzeugt, in den fremden Bus zu steigen. Was das für eine unglaublich mutige, schwierige Entscheidung sein muss, kann sich jeder vorstellen. Aus dem Lager selbst, das einmal ein Einkaufszentrum gewesen ist, gibt es aus verschiedenen Quellen heimlich aufgenommene Videos: Tausende Feldbetten sind dort zu sehen, auf denen Menschen schlafen, zugedeckt mit Jacken und Decken, während Hunderte, Tausende um sie herumwuseln.

In dem polnischen Übergangslager herrschte drangvolle Enge, aber die Hilfe war gut organisiert, fanden die Velberter Helfer vor Ort.
In dem polnischen Übergangslager herrschte drangvolle Enge, aber die Hilfe war gut organisiert, fanden die Velberter Helfer vor Ort. © Privat | Privat

Elend und Hoffnung in einem Raum

Es gibt ganze Räume voller Spenden, Hygieneartikel und Nahrungsmittel, Kleidung und medizinische Güter, Kartons über Kartons stapeln sich überall. Das polnische Militär ist präsent, dazu viele Freiwillige. „Von polnischer Seite ist das wirklich gut organisiert“, sagt eine, die es wissen muss: Aleksandra Brill. Gemeinsam mit ihrem Mann Waldemar und IHLA-Mitglied Tina Wöllner war die junge Frau für die Integrationshilfe mit an der Grenze, hat Elend und Hoffnung mit eigenen Augen gesehen.

Verwandten wurden Gewehre ausgehändigt

Brill stammt aus der Ukraine, hat während der gesamten Aktion gedolmetscht und geholfen, wo sie konnte. „Mir geht es besser, wenn ich helfe. Wenn ich ständig nur die Nachrichten verfolge, geht meine Psyche kaputt.“ Denn Aleksandras Eltern und ihr Bruder sind noch in der Ukraine und lassen sich nicht überreden, sie zu verlassen. „Viele Ukrainer sagen: ‚Ich verteidige lieber mein Land und sterbe dabei, als auf Knien zu leben.’“ Denn die Menschen wüssten genau, wofür sie kämpften: „Wir wollen ein demokratisches Land sein.“ Aleksandras Vater in Kiew war einer von Zehntausenden, denen der Staat vor einigen Tagen ein Gewehr ausgehändigt hat.

Mit einem Bus haben die Velberter Helfer in Polen ukrainische Flüchtlinge abgeholt.
Mit einem Bus haben die Velberter Helfer in Polen ukrainische Flüchtlinge abgeholt. © Privat | Privat

Ukrainer sollen in eigene Wohnungen ziehen

Und die Ukrainer in Velbert? Sie bleiben vorerst in Hotels, sollen danach in eigene Wohnungen ziehen. Finanziert wird all das über Spenden an die IHLA. Juan Gregori hat hierfür mit seinen Kontakten den Weg geebnet, er hat, genau wie IHLA-Vorsitzender Gero Sinha und eine Menge anderer Freiwilliger, in den letzten fünf Tagen keine Minute geruht.

Tränen rollen über die Wangen der jungen Frau

Am erschöpftesten aber sind sicherlich die Menschen, um die es hier geht: Irgendwann, es ist schon fast Mittag im Parkhotel, rollen einer jungen Ukrainerin dicke Tränen über die Wangen, schnellen Schrittes rennt sie mit einem kleinen Mädchen an der Hand aus dem Saal. Tränen eines Menschen, der vor zehn Tagen noch ein Zuhause hatte, ein Leben, das sich nicht über Flucht definierte. Jetzt ist alles anders; in einer gnadenlosen Welt, die sie schlecht versteht, wenn überhaupt.

>>>Vor allem Geld wird benötigt

Die IHLA bittet momentan vor allem um Geldspenden, um den Aufenthalt der ukrainischen Menschen weiter finanzieren zu können.

lautet DE73 3345 0000 0026 0329 04. Stichwort: Ukraine, Verwendungszweck: e-Mail-Adresse des Spenders (damit eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden kann).

Die Stadt Velbert hat eine eigene Internetseite geschaltet: Hilfe für Ukraine.