Neviges. Die Häuser an der Weinbergstraße leuchten jedes Jahr in festlichem Glanz. Die Menschen, die hier wohnen, halten auch in der Krise fest zusammen.
Die Bögen der hübschen Türen sind beleuchtet, in einigen Fenstern strahlen Sterne, in anderen kleine Lichter. Die Weinbergstraße zur Weihnachtszeit, das ist eine Augenweide. „Als ich vor 21 Jahren hier eingezogen bin, da hab ich mitgemacht und wir haben uns entschieden. Hell, geschmackvoll und dezent. Bloß nicht bunt und grell, aber das war auch nie eine Frage“, sagt Anette Teml. „Weihnachten ohne unsere Beleuchtung, nein, das geht gar nicht.“ Dabei hat ausgerechnet ihr Haus Nummer 17 im Erdgeschoss ein paar dunkle Ecken. Sie erinnern an einen Abend, den man hier in der Weinbergstraße nie vergessen wird. Der Abend, als das Wasser kam. Als sich der Hardenberger Bach am 14. Juli seinen Weg bahnte in das Wohnzimmer, auch die Küche des Hauses Nr 17 flutete.
Der Bach flutete das Wohnzimmer
Noch immer gibt es unten keinen Strom, ist das Erdgeschoss unbewohnbar. Doch dieser Abend zeigte auch: Es gibt sie, diese bedingungslose Hilfsbereitschaft. Wenn alle an einem Strang ziehen, bis zur Erschöpfung ackern. Oder, wie es Schwägerin Rosi Teml, die damals unten wohnte, auf den Punkt bringt: „Da wurde nicht geschnackt, da wurde angepackt.“ Nie werde sie vergessen, wie sie damals zu zweit im Hausflur standen: „Schwapp, schwapp, und dann strömte es rein. Und wir hatten kurz vorher renoviert“, erzählt Anette Teml (58), die eine besondere Beziehung zu dieser Straße hat. „Ich bin an der Weinbergstraße geboren, hab schon in den Häusern 16a, 23, 21 gewohnt und eben jetzt in Nummer 17. Ja, ich bin dreimal umgezogen, hab aber nie einen Möbelwagen gebraucht, das ging alles per Hand.“
Auch Kollegen rückten an
Zurück zu jener Flutnacht. „Der Strom war weg, es ging nichts“, erinnert sich Anette Teml. „Rosi und ich sind hoch in die erste Etage, ich hab zum Glück kurbelbares Radio und kurbelbares Licht. Zehn Minuten ordentlich kurbeln, da konnte ich Nachrichten hören. Man hat immer gedacht. Kommt noch was? War es das mit dem Regen?“ Dann der nächste Morgen, als von überall her Hilfe anrückte. „Wir mussten niemanden bitten, alle waren einfach da..“ Die Nachbarn, Freunde, sich frühmorgens ins Auto setzten, ebenso Kollegen aus dem Bayer Werk in Wuppertal. „Eine Frau, die ihren Wagen in der gleichen Garage stehen hat wie ich, brachte uns Essen, ich weiß nur, dass sie Andrea heißt. Und die Tochter, die ich auch bis dahin nicht kannte, brachte Eis für alle. Wir waren ja alle völlig fertig, das tat so gut.“
Wohnung komplett leer geräumt
Heißmangel steht im Zelt
Das Hochwasser hatte auch Elke Groteguts Heißmangel-Betrieb geflutet, die Räume sind vorerst nicht nutzbar. Antje Groteguts Schwiegertochter führt den Betrieb zurzeit in einem wetterfesten Zelt weiter. Die 60 Jahre alte Miele-Mangel, liebevoll „Ette“ genannt, konnte repariert werden.
Auch in der Fleischerei Janutta, Siebeneicker Straße, musste nach der Flut für einige Zeit der Betrieb ruhen.
Innerhalb eines Tages habe man die geflutete Erdgeschoss-Wohnung komplett leer geräumt, dankbar, dass die Firma Schwäbe unangefordert einen Container aufstellte. Rosi Teml, die jetzt vorübergehend bei ihrer Tochter in Wuppertal wohnt, hofft, im Mai wieder in ihre Wohnung ziehen zu können. Zurzeit läuft noch Tag und Nacht die Heizung, ein teures „Vergnügen“, so Anette Teml. Bei der Renovierung werde dann auch die Elektrik wieder flott gemacht, damit nächstes Jahr zur Weihnachtszeit auch Haus Nummer 17 wieder vollständig leuchtet.
Nachbarin glaubt an Wunder
„Ja, Anette und Rosi drüben hat es am heftigsten erwischt“, sagt Antje Grotegut, die seit 1978 direkt nebenan im Haus Nummer 19 wohnt, und seit jener Nacht an Wunder glaubt. „Das Wasser stand im Flur, floss bis rein in die Küche. Aber hier kam es nicht rüber“, sagt die 78-Jährige und zeigt auf die Mini-Schwelle zwischen Flur und Wohnzimmer, „ich hatte mehr Glück als Verstand“. Klar, der Keller sei vollgelaufen, die selbst gemachten Marmeladen, auch viele Lichterketten, alles verdreckt, alles musste weg. „Ich habe eine Pumpe im Keller, am nächsten Morgen war da nur noch Schlamm, aber kein Wasser mehr.“ Also einmal tief durchgeatmet, die Ärmel hoch gekrempelt und dort geholfen, wo es nötig war.
Kuchen-Theke auf der Mauer
„Weißt du noch, wir hatten auf der Bachmauer eine kleine Theke mit Getränken und Essen aufgebaut, da konnte sich jeder bedienen“, erinnert sich Antje Grotegut. Und Maria Langer, die mit Ehemann Peter im Haus Nr 21 wohnt, ergänzt: „Ja, und ich hab für alle gegrillt.“ Kuchen, Salate, Würstchen – man tat, was man konnte, um auf seine Weise zu unterstützen. Auch sie hätten Glück im Unglück gehabt, erzählt Maria Langer, es habe eben „nur“ der Keller unter Wasser gestanden. Die Heizung wurde zerstört, „die neue haben wir jetzt auch oben angebracht“.
Kirchen boten Hilfe an
Bei aller Plackerei habe es nach der Flut auch viele schöne Momente gegeben. „Von der Bruderschaft St. Martin kam direkt am nächsten Morgen einer angesaust, der war ganz aufgeregt. Das war wohl Abbé Ignace, er fragte: Braucht ihr etwas? Seid ihr obdachlos? Ihr könnt kommen, wir haben Platz“, erinnert sich Antje Grotegut. Die evangelische Landeskirche hatte ein Spendenkonto für die Flutopfer eingerichtet. Aber vor allem sei es tröstlich, so sind sich alle einig, einmal mehr zu wissen, dass man sich an der Weinbergstraße aufeinander verlassen kann. Maria Langer: „Wenn ich in der Adventszeit abends nach Hause komme und unsere Häuser sehe, dann denke ich oft: Wow, schon toll. Hier will ich nie mehr weg.“