Neviges. Das Dach des Mariendoms in Neviges ist wieder dicht: Nicht nur Polier Frank Wiemhoff wird diese spektakuläre Baustelle nie vergessen.
Leuchtend und hell strahlt es Richtung Himmel, zeigt auf faszinierende Weise, was diesen spektakulären Sakralbau des Stararchitekten Prof. Gottfried Böhm so einzigartig macht. Das für 6,85 Millionen Euro aufwändig sanierte Dach des Mariendoms ist nach fünf Jahren fertig. Und Polier Frank Wiemhoff, der mit seinem Team hier bei Wind und Wetter in 30 Metern Höhe Tag für Tag handwerkliche Höchstleistungen vollbracht hat, macht nicht etwa genervt drei Kreuze. Wenn Wiemhoff am 1. September die Baucontainer auflöst, dann verlässt er Neviges mit viel Stolz und auch Wehmut: „Ja, man kann schon sagen, das Objekt ist mir ans Herz gewachsen. Ich geh mit einem lachenden und einem weinenden Auge.“
Ein Dach aus einem Guss
Sonntag ist Messe zur Segnung
Zur feierlichen Einsegnung des renovierten Dachs hält Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki am Sonntag, 29. August, 15 Uhr, eine Andacht im Dom. Darin wird gedankt, dass die Arbeiten unfallfrei abgelaufen sind. Eine Anmeldung ist erforderlich unter 02053 931862 oder online auf www.neviges.de.
Von den insgesamt 6,85 Millionen Euro Sanierungskosten hat das Erzbistum Köln fünf Millionen gezahlt. Der Rest stammt vom Bund, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Wüstenrot-Stiftung. Auch viele Spenden von Privatpersonen halfen bei der Finanzierung.
Der weltbekannte Architekt und Dom-Erbauer Gottfried Böhm, verstorben am 9. Juni 2021, sagte in einem Telefongespräch mit der WAZ anlässlich des 50-jährigen Domjubiläums: „Mit dem Dach aus einem Guss wollte ich eine Einheit schaffen, eine Einheit aus Wand und Dach. Das habe ich in Neviges am stärksten von all meinen Objekten gemacht.“ Diese Einheit und dazu das Zeltartige sind es, was Architekturfreunde aus aller Welt nach Neviges zieht. Und andererseits die Sache so kompliziert und teuer gemacht hat. Auch Frank Wiemhoff war von Anfang an hin und weg – und das noch vor seinem ersten Arbeitstag.
Polier war von Anfang an fasziniert
„Wir hatten den Auftrag noch gar nicht, da war ich mit Frau und Sohnemann in Neviges spazieren“, erinnert sich der 57-Jährige. „Ich fand das absolut faszinierend, diese Geometrie. Und hab nach dem Ausflug zu meinem Chef gesagt: Wenn wir das bekommen, dann will ich ich das machen.“ Dass er unbedingt hier als Polier habe Verantwortung übernehmen wollen, liege vielleicht auch an seiner Ausbildung. „Ich bin gelernter Stuckateur, hab dann meinen Hochbau-Meister gemacht.“ An dieser Stelle sei vorweggenommen: Lob gab es später nicht nur von Erzdiözesanbaumeister Martin Struck aus Köln, der bei einer seiner zahlreichen Besichtigungen sagte: „Dieses Team ist ein Segen für den Dom.“ Den Ritterschlag bekam Wiemhoff kurz und knapp von Gottfried Böhm selbst, der auch mit 100 Jahren noch auf das Dach seines Doms fuhr. „Zum Schluss sagte er: Jung, hast du gut gemacht“, erinnert sich Wiemhoff.
Viele mögen sich über den langen Zeitraum der Sanierung und auch die Kosten von 6,85 Millionen Euro wundern. Doch an dieser Baustelle ist eben nichts normal, schon die Vorarbeiten hatten es in sich. Bereits 2008, so Erzdiözesanbaumeister Martin Struck, habe es wegen des undichten Daches den ersten Kontakt mit dem Architekturbüro Böhm in Köln gegeben. Gemeinsam suchte man nach einer dauerhaften Lösung, denn aufgrund der außergewöhnlichen Konstruktion konnte das Dach nicht einfach geflickt werden.
Sechs Jahre geforscht
Sechs Jahre lang experimentierten Wissenschaftler des Instituts für Bauforschung an der Technischen Universität Aachen und fanden schließlich ein geeignetes Material: Carbonfaserverstärkter Spritzbeton, von Hand aufgetragen in fünf aufeinander folgenden Arbeitsschritten. Das Grundprinzip der dauerhaften Dachabdichtung: Die Risse im Beton werden verkleinert auf viele kleinste Haarfugen, die nicht mehr wasserführend sind. Im Rahmen dieser Forschungen seien auch diverse Promotionsarbeiten geschrieben worden, so Erzdiözesanbaumeister Struck.
Kunststoff musste herunter
Auf einer Fläche vom Zehntel des Daches probierte man das System im September 2016 über der Sakristei aus, und als dort nach einem Jahr noch alles dicht war, „ging es dann Mai 2018 los“, erzählt Wiemhoff und zeigt auf den Stahlschrank im Baubüro, vollgestopft mit Aktenordnern. Doch bevor in sieben Bauabschnitten auf einer Fläche von knapp 3000 Quadratmetern das Material aufgetragen werden konnte, musste noch die in der 1980er Jahren nachträglich angebrachte Kunststoff-Schicht heruntergerissen werden. Hätte man beim Bau des Doms, wie ursprünglich von Gottfried Böhm geplant, das Dach mit Bleiplatten und nicht mit Beton versehen, wären die Probleme in dieser Form vermutlich nicht aufgetaucht, schätzen Experten.
Lob auch für die Gerüstbauer
Wie dem auch sei: In einer Kirche, in der es mindestens 40 verschiedene Winkel gibt, kann man nicht mit Schablonen arbeiten, hier ist reine Handarbeit angesagt. Frank Wiemhoff, der täglich 140 Kilometer zwischen seinem Wohnort Lünen und Neviges zurücklegen musste, hat diesen Auftrag nie bedauert. Auch, wenn manche Baubesprechungen von 14 bis 21 Uhr gedauert hätten: „Ich kenne hier jeden Zentimeter. Ich weiß genau, wo ist C 07, wo A 01.“ Und er erinnert daran, dass seine Männer die kniffligen Arbeiten auch deshalb so gut erledigen konnten, weil die Zusammenarbeit mit der Gerüstbau-Firma Stromberg aus Duisburg hervorragend gewesen sei. Geschäftsführer Karl-Georg Stromberg: „Wir machen viele Kirchen, aber so etwas hatten wir noch nie.“ Sein Betriebsleiter Dirk Grümbel ergänzt, dass man neben der Sicherheit auch dafür gesorgt habe, dass sich die Arbeiter gut bewegen konnten. „Und wir haben versucht, möglichst wenige Auflage-Punkte zu schaffen, damit die Bauarbeiter nicht viel nachbessern müssen.“
Polier Frank Wiemhoff betreut inzwischen den Bau einer Tiefgarage in Bonn, kommt nur noch zur Auflösung der Container her. Die Zeit in Neviges werde er nie vergessen. „Ich werde auch in Zukunft am Wochenende mal herkommen, nach dem Rechten sehen“, meint er verschmitzt. „Ist ja auch wirklich eine schöne Ecke.“