Velbert. Ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Wuppertal zeigte bei Vorgesetzten seine Überlastung an, doch statt Hilfe bekam er eine Strafanzeige.

In der auch für Velbert und Heiligenhaus zuständigen Staatsanwaltschaft Wuppertal herrscht „katastrophale“ Personalnot. Das bezeugten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Strafprozess im Justizzentrum Wuppertal.

Ein überlasteter Beamter hatte nach einem Personalgespräch statt Hilfe eine Strafanzeige seiner Vorgesetzten bekommen – wegen Verdachts der Strafvereitelung. Er habe einen Verurteilten wissentlich zu lange in Freiheit gelassen. Ein Amtsrichter sprach den Mann frei und stellte fest: „Die Situation war der Leitung bekannt, Abhilfe gab es nicht.“

Der Angeklagte stammt aus dem Kreis Mettmann

Der Angeklagte ist 60 Jahre alt, stammt aus dem Kreis Mettmann und ist seit 38 Jahren Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft. Er ist zuständig für Strafen, die rechtskräftig sind. In einem Fall lag eine Akte ab 2010 fünf Jahre auf seinem Schreibtisch: Ein Verurteilter wollte eine Drogentherapie in einer Klinik durchlaufen und mehrere Jahre Gefängnis vermeiden. Das Verfahren fiel nach Jahren zufällig auf. Der Angeklagte erklärte dazu im Gericht: „Ich musste prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen und ebenso, ob dem etwas entgegen steht.“ Unterlagen hätten Monate gebraucht. Schließlich habe er den Überblick verloren. Seine Sorge: Ein Fehler wäre womöglich Freiheitsberaubung gewesen.

Großes Interessen an dem Prozess

Die Sitzung im Amtsgericht verfolgten mehr als 40 Staatsanwälte, Amtsanwälte und Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft im Saal - alle sichtlich auf der Seite ihres Kollegen. Die Anklage vertrat ein Staatsanwalt aus Krefeld. Sogar ein Gerichtspsychiater sagte über den Angeklagten aus. Den Aussagen zufolge war die Situation im Büro des Angeklagten extrem: Akten überall - auf der Heizung, auf dem Boden. Der Angeklagte sei höchst kompetent und genau. Eine Oberstaatsanwältin erläuterte: „Er war mein ‘Telefon-Joker’, wenn ich mal was wissen musste.“

Arbeit bis in die Abende hinein

Mehrere Staatsanwälte sagten aus, dass auch sie bis in die Abende arbeiteten, um durch zu kommen. Zwei berichteten, sie hätten zusätzlich freiwillig dem Rechtspfleger geholfen: „Es war anders nicht zu schaffen.“ Ein Mitarbeiter sagte, er habe zwischen 2000 und 2010 fünf Mal seine Überlastung gemeldet. Schließlich habe ein Mitglied der Behördenleitung ihm gesagt: „Lassen Sie das sein. Wir können damit nichts anfangen.“ Dem Angeklagten soll ein Vorgesetzter sogar einen Zettel ins Zimmer gehängt haben: „Nicht Akten lesen - Entscheidungen treffen!“

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„Seit 20 Jahren wird alles kaputt gespart“

2015 stellte eine Personalärztin fest: Es sei nicht mehr zu verantworten, den Rechtspfleger so weiter arbeiten zu lassen. Der Anwalt des Mannes fragte den damaligen stellvertretenden Behördenleiter: „Und? Was haben Sie getan, damit es wieder verantwortet werden konnte?“ Die Antwort: „Ich habe da keine Erinnerung dran.“ Zum Vorwurf der Strafvereitelung erklärte der Anwalt des Mannes: „Nie im Leben hatte er so einen Vorsatz.“ Der Staatsanwalt aus Krefeldkommentierte: „Das ist insgesamt eine Situation, die ich kenne. Und zusätzlich wird alles seit 20 Jahren kaputt gespart.“ Gegen den Freispruch kann er Rechtsmittel einlegen. Er hatte zehn Monate Bewährungsstrafe beantragt.

Pflicht zur Anzeige

Laut Gesetz muss die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren einleiten, wenn sie einen Verdacht für begründet hält. Für strafrechtliche Ermittlungen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des eigenen Hauses ist jeweils eine andere Staatsanwaltschaft zuständig.

Strafvereitelung im Amt wird mit mindestens sechs Monaten Gefängnis bestraft. Bewährung ist möglich. Verurteilte müssen mit dienstrechtlichen Folgen rechnen.