Neviges. . In der Serie „Stadtspaziergänge“ führt Historiker Gerd Haun in der fünften Tour über die Wilhelmstraße, auch „Champs-Elysée von Neviges“ genannt.
Schnurgerade ist sie und recht lang. Und wer den Blick hebt und nicht auf den Verkehr achten muss, der entdeckt noch heute an einigen Häuserfassaden den Glanz vergangener Zeiten. „Die Wilhelmstraße, das war um die Jahrhundertwende DIE Hauptstraße schlechthin. Mit Granit gepflastert, geradlinig und lang. Das war die Champs-Elysée von Neviges“, sagt Gerhard Haun und zeigt begeistert auf die oberen Stockwerke der Häuserzeile. Stuck aus der Gründerzeit, florale Elemente aus dem Jugendstil. Die Wilhelmstraße, Tour fünf der Stadtspaziergänge. Start ist vor dem alten Bunker, denn hier begreift man am besten ihre Entstehungsgeschichte.
Den Kriegsbunker aus dem zweiten Weltkrieg im Rücken, fällt der Blick auf das ehemalige Rathaus, 1886/1887 erbaut und eines der ersten größeren Gebäude der Wilhelmstraße. „Ausgebaut wurde die Straße aber schon zwischen 1870 und 1880“, erläutert Gerhard Haun. Und dass sie eine besondere Straße werden sollte, lässt sich schon am Namen ablesen: „Kaiser Wilhelm I. Mehr ging damals nicht, das war das Größte“, schmunzelt Haun. Ganz klar, dass hier auch das „neue“ Rathaus stehen musste: Nachdem Langenberg aus der Bürgermeisterei Hardenberg ausgeschieden war, gab es ab 1864 für das Dorf Neviges zwar eine eigenständige Verwaltung, aber kein eigenes Gebäude. Unter Bürgermeister Gerhard Paulussen wurde 1886/1887 das Rathaus errichtet, vier Jahre später der Seitenbau an der Schaesbergstraße.
Feuerwehrleute erprobten hier den Ernstfall
Auch nach der kommunalen Neugliederung 1975 blieb das Gebäude bis 2005 Sitz diverser Verwaltungsstellen der Stadt Velbert.
Aber zurück zu den Anfängen der Wilhelmstraße: Gleich ein Jahr später, 1887/1888 wurde im gleichen Backstein-Stil die Post und Sparkasse erbaut, die Feuerwehr kam 1905 dazu. Ein praktischer Bau, wurde doch an den drei Stockwerken der Ernstfall geprobt. „Da übten die Männer das Klettern und Eindringen ins Gebäude.“
Gegenüber auf der anderen Straßenseite, dort, wo heute die Druckerei Engelhardt ist, war einst der Verlag der „Neviges-Hardenberger Volkszeitung.“ Gegründet 1878, bestand das Blatt bis 1934.
Die Wilhelmstraße: Eine Paradestraße für Vereine und Parteien, natürlich auch von den Nazis missbraucht. Eine Straße mit vielen Läden, auch eine Straße der Kultur und des Vergnügens. Bis in die 1960er Jahre gab es gleich zwei Kinos in Neviges: „In den zwanziger Jahren das Lichtspiel-Theater Urania, später Park-Lichtspiele am Stadtgarten und das Deli, Deutsche Lichtspiele, das lag an der Haarnadelkurve.“
In der Stadthalle wurde klassisches Theater gezeigt
Als Nevigeser hat Gerhard Haun auch an die 1928 erbaute Stadthalle manche Erinnerung: „Ich hab da einst Maria Stuart gesehen. Nachdem Maria enthauptet wurde, haben die meisten Zuschauer das Theater verlassen. Da stand der Hausmeister oben auf und rief laut: Hinsetzen, kommt noch ein Bild.“ Den geplanten Abriss der Stadthalle kommentiert der Historiker so: „Ein Nicht-Verstehen von Baukunst. Das einzige Gebäude in reinem Bauhaus-Stil in ganz Velbert.“
<<<INVESTOR SANIERT ALTES RATHAUS UND DIE ALTE POST UND SCHAFFT WOHNRAUM
Im Haus Nr 18, erbaut 1878, war erst die Volksschule, dann die Rektoratsschule. Die Stadtbücherei hatte hier ihren Sitz, dann die Awo. Beide sind jetzt an der Elberfelder Straße. Das Krankenhaus (1895) hieß erst Piushospital. Da auch Schwestern des Elisabeth-Ordens hier arbeiteten, hieß es bis zur Schließung 2013 Elisabeth-Krankenhaus.
Rathaus und Alte Post werden von Investor André Grimmert zu Wohnungen umgebaut.