Velbert. . Vor zwei Jahren kam die Journalistin Alina Kats aus der Ukraine nach Deutschland. Hier erzählt sie ihre Geschichte.
Diese ausergewöhnlichen Häuser aus Fachwerk mit roten, üppigen Blumen vor den Fenstern ... Und die Laternen, diese gelben Abendlichter. Als ob sie die Frühlingswärme in die noch kalte Stadt bringen wollten. Alles scheint, wie in einem Märchen zu sein.
So habe ich Deutschland zum ersten Mal gesehen. In dieses Deutschland habe ich mich verliebt. Dieses Deutschland wird für den Rest meines Lebens so in meiner Erinnerung bleiben. Im Sommer 2016 heiratete ich einen deutschen Mann und, obwohl es für mich schwierig war, eine solche Entscheidung zu treffen, zog ich aus der Ukraine nach Deutschland. Und dann war dieses Land nicht mehr sanft zu mir. Dann zeigte es mir seinen Alltag und zwang mich zu weinen, depressiv zu sein und, wie nie zuvor, nach Hause zu wollen.
In die Straßen von Langenberg verliebt
Die ersten Wochen fühlte ich mich wie im Märchen. Ich habe mich in die alten, sauberen und mysteriösen Straßen von Langenberg verliebt. Ich konnte den ganzen Tag hin und her spazieren. Ich habe mich in die netten Leute verliebt, die bei Treffen immer lächeln. Ich habe mich in ein deutsches Frühstück mit frisch gebackenen Brötchen oder Croissants und gekochten Eiern verliebt. Ich mochte alles. Aber so war es nicht lange. Der Herbst kam und mit ihm begann meine schwierige Anpassungszeit. Ich habe verstanden, dass ich auf einmal alles verloren hatte: Arbeit, Freunde, Verwandte, Anerkennung. Einfach alles.
In der Ukraine als Journalistin gearbeitet
In der Ukraine war ich eine Journalistin. Journalismus habe ich studiert und jahrelang habe ich für den größten und bekanntesten Fernsehsender gearbeitet. Mein leben war voller Emotionen, Veranstaltungen und Reisen. Damals habe ich auf den Journalismus durch die rosarote Brille geschaut. Bis die ukrainische Revolution 2013/14 jeden ukrainischen Journalisten aus seiner üblichen Routine riss. Die Menschen gingen zum Maidan, dem zentralen Platz der Hauptstadt, um gegen die Obrigkeit zu protestieren. Wir Journalisten waren mittendrin. Und ich erinnere mich gut an das Kreischen der Gewehrgranaten, die Schreie, Leichen und das Weinen der Menschen.
Gewalt gehörte zum Berufsalltag
Präsident Janukowitsch floh. Aber statt des so lang erwarteten Friedens kam Krieg in die Ukraine. Und die neue Regierung ließ das Land in den Abgrund fallen, statt die versprochenen Verbesserungen in die Tat umzusetzen. Und die Gefahr, verletzt oder getötet zu werden, wurde einfach zum ukrainischen Alltag. Auch für uns Journalisten. Mir und meinen Kollegen wurde gedroht, wir wurden verfolgt, geschlagen und einige sogar erschossen. Ich persönlich wurde von korrupten Beamten wiederholt körperlich angegangen. Das Strafverfahren wurde natürlich eingestellt. Die Zeitungen schrieben, Radio und Fernsehen berichteten über den Vorfall. Jedoch übernahm niemand die Verantwortung dafür. Genauso wie niemand die Verantwortung für die Erschießung der Menschen auf dem Maidan übernahm.
Plötzlich in einem fremden Land
Und nach dieser Zeit mitten im Leben, stand ich in einem fremden Land. Es ist nicht möglich mit Worten zu beschreiben, was man fühlt, wenn man unter Menschen lebt, aber nichts versteht und nichts sagen kann. Wörtlich nichts, kein einziges Wort. Ich fühlte mich minderwertig. Ich konnte nicht selbst in den Laden gehen, weil ich die elementaren Dinge nicht verstand.
Zum Beispiel wie die Saure Sahne (auf ukrainisch CMETAHA) auf Deutsch heißt und wie ihre Verpackung aussieht. Und mein Englisch hat mir nicht viel geholfen, denn es stellte sich heraus, dass in Langenberg gerade in den Geschäften kaum jemand Englisch sprechen konnte. Der Mangel an Freunden, Verwandten und allgemein jeder Kommunikation brachte mich langsam um. Ich wollte nicht das Haus verlassen, weil ich mich meiner vermeintlichen Minderwertigkeit schämte.
Sprache lernen mit Büchern und Videos
Schließlich habe ich aber gelernt, das Leben ohne all das, was ich hatte und was mir fehlte, zu genießen. Ich ging oft in ein Café, um bei einer Tasse Kaffee die Deutschen zu beobachten. Besonders gerne schaute ich auf die alten Damen. Sie sind immer elegant, mit schöner Frisur und Maniküre – sie sind echte Damen. Ich brauchte nicht zu verstehen, was sie sagten, ich hatte Spaß, ihre anmutige Art und Weise zu beobachten, ihre Liebe zu jedem gelebten Tag anzuschauen. Ihre Lebensweise unterscheidet sich sehr von dem ukrainischer Rentner. Unsere Großmütter können es sich nicht leisten, einen Kaffee im Café zu trinken, sie haben kaum Geld für Brot.
Zu Weihnachten wird die Tochter geboren
Am 21. Dezember, als Weihnachtsgeschenk, wurde meine Tochter Marion geboren. Und mit ihr kamen helle Farben in mein Leben. Und dann der Frühling – die Sonne scheint, Vögel singen und die Stimmung ist gut. Und am wichtigsten – ich fing an, Deutsch zu sprechen. Um die erste Sicherheit zu bekommen, habe ich sieben Monate gebraucht. Ich studierte Tag ein Tag aus alleine zu Hause, ohne Lehrer und ohne Kurse. Meine Helfer waren Bücher, Wörterbücher und Videos im Internet – und darüber hinaus der große Wunsch zu sprechen. Als ich in der Lage war, mit Deutschen zu kommunizieren und zu spüren, wie das Leben in Deutschland ist, bekam ich Anfragen ukrainischer TV-Sender. In der Folge erstellte ich Berichte über die deutsche Kultur und deutsche Bräuche. Ich machte Livereportagen vom Kölner Flughafen während eines Streiks und einiges mehr. Gleichzeitig wollte ich als Journalistin in deutschen Redaktionen arbeiten. Aber es war nur ein Traum, der mir damals unrealistisch erschien.
Im Juli erschien der erste Artikel in der WAZ
Die Zeit schritt voran, mein Deutsch wurde besser. Als meine Tochter eineinhalb Jahre alt war, hatte ich etwas mehr Zeit für mich. Ich absolvierte zwei Integrationskurse: Kenntnis der deutschen Sprache und Kenntnis der deutschen Politik und Geschichte. Die Ergebnisse beider Tests waren perfekt. Es gab mir Selbstvertrauen und ich entschied – ich sollte versuchen, zumindest gelegentlich Artikel für eine deutsche Zeitung zu schreiben: Ich ging in die Redaktion der WAZ in Velbert. Die Lokalchefin Yvonne Szabo gab mir die Chance. Am 11. Juli erschien mein erster Artikel. Und jetzt kann ich sicher sagen – ja, ich bin angekommen.