Langenberg. . Vitalj Sjomin verrichtete in der Maschinenfabrik Volkenborn Zwangsarbeit – und schrieb ein Buch. Parallelen zur Geschichte des Fabrikgründers.

Geschichte ist nicht interessiert an Menschen. Einzelne Menschen sind aber sehr interessiert an ihrer Geschichte. Die Geschichte zweier Menschen in Langenberg wurde am Donnerstagabend im Alldie-Kunst für die zahlreichen Zuhörer sehr plastisch. Die Texte beleuchteten ihre Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Zeiten in Langenberg. Die Lokalhistoriker Jürgen Lohbeck und Josef Niedworok lasen auf Einladung des Bergischen Geschichtsvereins aus den Erinnerungen zweier Autoren, die in ganz unterschiedlichen Zeiten und aus sehr verschiedenen Positionen heraus Erfahrungen in Langenberg machten. Eines ist ihnen gleich: Bittere Armut, in der sie überleben mussten.

Die Maschinenfabrik gibt es noch – in Hattingen

Der eine Langenberger hieß Arnold Heinrich Volkenborn, der Gründer der gleichnamigen Maschinenfabrik, die noch heute als AVOLA (Anton Volkenborn Langenberg) in Hattingen existiert. Er lebte um die Wende zum 19. Jahrhundert und kam als Junge nach Langenberg, weil sein Vater als schwer verletzter Soldat aus dem siebenjährigen Krieg des „Alten Fritz“ nach Hause kam. Der Junge musste statt in die Schule zunächst Erdarbeiten zu Hause verrichten, während seine Eltern das Recht hatten, auf der Straße von Langenberg nach Nierenhof „Maut“ zu kassieren. Doch selbst zusammen mit den Einnahmen aus einer Gaststätte reichte es für die Eltern nicht. Volkenborn schrieb seine Geschichte nur für die Familie. Eine Veröffentlichung erfolgte gegen seinen ausdrücklichen Willen.

Die Parallelen sind rührend

Geradezu rührend sind die Parallelen zwischen den beiden Autoren, zum Beispiel bei der Beschreibung ihres Schuhwerks. Volkenborn musste Im Sommer wie im Winter in Holzschuhen zur Arbeit. Die Fußbekleidung des jungen Ukrainers, der im Alter von 14 Jahren nach Deutschland verschleppt wurde, war noch viel kurioser: „Das hintere Stück ist aus Pappe, das Oberleder aus Zelttuch, die Sohle aus Holz. Nicht nur das Rennen – auch das Gehen ist eine Qual. Die Haut an den Füßen ist wund. Die Sohle ist in der Mitte aufgesprungen. Sie saugt Dreck und Schnee an.“

Volkenborn versuchte neben seinen Arbeiten Zeit zu gewinnen, wenigstens ein Paar Stunden in die Schule zu kommen. Das Lesen brachte er sich aus einem Buch selbst bei, schreiben konnte er zeitlebens kaum. Besonders schlimm war für den angehenden Fabrikanten, dass er nicht rechnen konnte.

Reparieren und erfinden

Trotzdem wurde seine Firma ein Erfolg. Er reparierte Maschinen und erfand neue Geräte. Sogar an die Konstruktion von Dampfmaschinen machte er sich. Sein Sinn für Improvisation zeigt sich, als er einen besonderen Antrieb für eine Musikwalze konstruiert: Er setzte ein Eichhörnchen in ein Hamsterrad und ließ das Tierchen rennen.

Seine Nachfolger und Mitarbeiter waren die einzigen, die sich mehr als hundert Jahre später das Schicksal der etwa 400 Zwangsarbeiter im so genannten „Ostarbeiterlager“ zu Herzen nahmen.

„Zur Bitterkeit gesellt sich Scham“

Das alles konnte den jungen Vitalj Sjomin nicht trösten: „Im Grunde waren es natürlich alles schlichte Menschen. Deshalb gesellt sich zur Bitterkeit der Erinnerungen stets auch Scham. Deswegen spüre ich in mir ja auch jenes untilgbare Band, das mich an diesen Ort kettet, von dem ich vor vielen Jahren scheinbar für immer mit dem Herzen Abschied nahm.“ Sjomin starb während einer Kur auf der Krim.

Seine Erinnerungen an Langenberg sind unter dem Titel „Zum Unterschied ein Zeichen“ bei Bertelsmann erschienen.