Neviges. . Die Jugendhilfe Lohmühle baut den Gemeindesaal der ev. Kirche im Siepen um. Die Kinder leben in Wohngruppen, die Kirche wird ein Mehrzweckraum.

Im hinteren Raum rattert eine Bohrmaschine, Handwerker drängen sich mit langen Holzplanken durch Türen. Und soll die Wand wirklich knallrot werden? Ja, sie soll – so hatten es sich die neun Kinder gewünscht, die bald in den Gemeindesaal der evangelisch-reformierten Kirche im Siepen einziehen.

Kinder ab sechs Jahren wohnen hier

Nach dem Verkauf von Gemeindesaal und Kirche an den Jugendhilfeträger Lohmühle laufen die Arbeiten auf Hochtouren, Kinder ab sechs Jahren finden hier ein neues Zuhause auf Zeit. Kinder, die aus welchen Gründen auch immer gerade nicht in ihrer Familie leben können und von diversen Jugendämtern an den privaten Träger in Neviges vermittelt werden.

Jugendhilfe beschäftigt 54 Pädagogen

Sorgt für klare Sicht: Peter Behrendt von der Gebäudereinigung AS Velbert putzt schon mal die Fenster in den Räumen, in denen kein Dreck mehr gemacht wird.
Sorgt für klare Sicht: Peter Behrendt von der Gebäudereinigung AS Velbert putzt schon mal die Fenster in den Räumen, in denen kein Dreck mehr gemacht wird. © Socrates Tassos

„Unser Ziel ist es, dass die Kinder wieder in ihre Familien zurückkehren können“, erzählt Annika Röhrig (32), Erzieherin und Träger für den Bereich Wohngruppen. Ehemann Tobias (34), von Haus aus Betriebswirt, kümmert sich als Chef um den Verwaltungsapparat – denn der wird immer größer. Mittlerweile beschäftigt die Jugendhilfe Lohmühle 54 Pädagogen.

Der Gemeindesaal ist der fünfte Standort in Neviges

Innerhalb von acht Jahren hat das Ehepaar mit dem Kauf des Siepener Gemeindesaals samt Kirche den fünften Standort in Neviges erworben. (siehe Info-Kasten). „Wir bekommen von Jugendämtern aus ganz NRW Kinder zugewiesen“, sagt Annika Röhrig, dass es mehr Anfragen als vorhandene Plätze gebe.

Jugendämter finanzieren den Aufenthalt der Kinder

Darum auch der Kauf des alten Pfarrhauses an der Siebeneicker Straße, daher jetzt der Kauf des Gebäude-Ensembles im Siepen. Die Finanzierung laufe über das „Entgeld des Jugendamtes“, so Tobias Röhrig: „Kommt zum Beispiel ein Kind aus Aachen, zahlt das Jugendamt Aachen.“

Wie lange ein Kind hier lebt, ist so verschieden wie die Gründe, warum die Jugendämter einen Umzug zur Einrichtung Lohmühle empfahlen. „Fast alle Kinder haben Kontakt zur Familie“, so Annika Röhrig. „Zu Eltern, Geschwistern, auch zu Oma und Opa.“ Manche besuchen ihr Kind, oder das Kind fährt über das Wochenende heim – wenn es denn dem Kind wirklich gut tut. In allen Wohngruppen wird nach dem Konzept „Marte Meo“ gearbeitet.

Konzept Marte Meo basiert auf Video-Analyse

Die Methode, entwickelt von der Niederländerin Maria Aarts basiert auf genauen Video-Analysen. „Dadurch können wir sehr genau und individuell auf jedes Kind eingehen, auch auf Verhaltensauffälligkeiten“, so Annika Röhrig.

Auch in den beiden Wohngruppen, die auf 400 Quadratmetern im Gemeindehaus Siepen für neun Kinder ab sechs Jahren eingerichtet werden, arbeitet das Team nach der Marte Meo-Methode. „Die Kinder durften sich die Farbe für ihr Zimmer aussuchen und hatten auch sonst ein Mitsprecherecht, so weit es möglich war.“

„Wir wissen, das hier ist ein hoch emotionales Thema“

Vier Einrichtungen gibt es bereits in Neviges

Die erste Wohngruppe entstand 2009 im Kinderhaus Lohmühler Berg.

Im Januar 2016 kaufte der Jugendhilfeträger ein Haus an der Steinstraße. Dort erwarb man im Dezember 2016 ein weiteres Haus nur für Jungen. Im Sommer 2016 kauften die Röhrigs von der ev. Gemeinde das alte Pfarrhaus an der Siebeneicker Straße.

So zieht also jede Menge Leben ein in den Gemeindesaal, und auch in der eigentlichen Kirche tut sich einiges: Ein Gotteshaus zu einem Mehrzweckraum umzufunktionieren, das ist ein Umbau mit Fingerspitzengefühl. „Wir sind uns bewusst, das ist ein hoch emotionales Thema. Daher nehmen wir so weit wie möglich Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Gemeindemitglieder“, meint Tobias Röhrig.

Vor dem Kreuz wird eine Musical-Bühne aufgebaut

So wurde das Kreuz nicht etwa ab- sondern nur umgehängt. Handwerker arbeiten gerade an einer Bühne für Musik,- oder Theateraufführungen. Nach wie vor wird hier der Schulgottesdienst abgehalten, und am 31. August der Einschulungsgottesdienst für die I-Dötze.

Das Taufbecken bleibt in der umgebauten Kirche

Das Taufbecken ist noch da, die Kirchenbänke kommen nicht auf den Müll, sondern wandern in die Wohngruppen. Auch sei die Kirche ja noch nicht entwidmet, so Pfarrer Detlef Gruber. Da die Gemeinde gezwungen war, das Gebäude aus wirtschaftlichen Gründen zu verkaufen, sei er persönlich froh, dass es die Röhrigs waren, die den Zuschlag bekamen. Rund 1,1 Millionen Euro lassen die sich den Umbau kosten: „Alles abreißen und neu machen wäre vermutlich billiger gewesen“, so Tobias Röhrig. „Aber es ist ein Gotteshaus. Das macht man nicht einfach platt.“