Velbert. . Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Preisbindung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln stelle das deutsche Solidarsystem in Frage. Preise seien ein Kostenfaktor im Sozialwesen.
- Niedergelassene Apotheker und europäische Versandapotheken seien Teil unterschiedlicher Systeme
- Boni für die Patienten seien im deutschen System nicht vorgesehen, so die örtliche Apotheker-Sprecherin
- Sie fordert nun ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Medikamente
Entsetzt zeigt sich Apothekerin Inge Funke über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, nach dem die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland gegen EU-Recht verstößt. „Die Welt ist auf den Kopf gestellt“, sagt die Sprecherin der Apotheker in Mettmann, Ratingen und Velbert.
Der erste Gedanke, der Inge Funke durch den Kopf ging, nachdem Sie von dem Richterspruch erfahren hatte: „Ich war sehr erstaunt, dass der Europäische Gerichtshof sich gegen den Willen unseres Gesetzgebers gestellt hat, weil man sich in der EU eigentlich einig war, dass soziale Dinge wie das Gesundheitssystem Ländersache sind.“ Niedergelassene Apotheker in Deutschland hätten, selbst wenn sie wollten, überhaupt keine Möglichkeit, mit europäischen Versandapotheken in den Wettbewerb zu treten, weil es sich um zwei verschiedene Systeme handele. Inge Funke: „Wir als Apotheker können ja beim Hersteller gar keine Rabatte aushandeln, weil das bereits die Krankenkassen tun.“
Und auch Boni für die Patienten seien im deutschen System nicht vorgesehen: Schließlich gebe es bei verschreibungspflichtigen Medikamenten in Deutschland ein Sachleistungsprinzip. „Der Patient bezahlt in der Apotheke gar nicht für die Medikamente, die er auf Rezept bekommt. Die Boni, die jemand bei einer Versandapotheke erhält, würden eigentlich dem Solidarsystem zustehen“, erklärt die Apothekerin. Gerade chronisch Kranke, die viele Medikamente einnehmen müssen, würden von unserem Solidarsystem profitieren. „Und dann sollen sie, wenn sie diese Medikamente online im Ausland bestellen, noch einen Bonus bekommen? Das wäre ein fatales Signal!“
Hohe Auflagen für Apotheker
Dem Gesetzgeber bleibt nach Ansicht der Apothekersprecherin nur die Option, ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Medikamente zu erlassen: „Das würde ich begrüßen. Ansonsten müsste man ja das komplette System hier in Frage stellen. Dieses Urteil ist ein Erdrutsch – die Politik kann eigentlich nur mit einem Verbot reagieren, um das deutsche Sozialsystem zu schützen.“
Wie das vor Ort aussieht, weiß Inge Funke nur zu gut: „Wir haben neunzig Prozent Stammkunden – weil wir Fragen beantworten und alles im Notfall regeln. Wir als Apotheke vor Ort sind vor allem für Alte und Kranke wichtig, die in meinen Augen schützenswert sind.“ Als Apotheker habe man eine Gemeinwohlpflicht: „Wir haben hohe Auflagen, wenn es um Dokumentationspflichten oder Kühlketten geht. Wir müssen ein Labor vorhalten, machen Nachtdienste, liefern nicht direkt vorrätige Medikamente nach Hause.“ Und: Wer freitags um 12 Uhr ein Rezept über ein Antibiotikum einlösen wolle, bekäme das Medikament vor Ort noch am gleichen Tag. „Im Versandhandel bekommen Sie es mit ganz viel Glück am Montag, in der Realität aber eher am Dienstag.“
Auch Dr. Stefan Derix, Geschäftsführer der Apothekerkammer Nordrhein, ist bestürzt über die Gerichtsentscheidung: „Das Urteil setzt die Axt an das deutsche System der Arzneimittelversorgung. Der Gesetzgeber hat ja deshalb die Preise festgesetzt, weil es nicht um eine Schnäppchenjagd gehen soll. Er hat vielmehr Interesse daran, dass er Einfluss auf die Preise hat, weil es dabei um einen Kostenfaktor für das Sozialwesen geht.“ Deshalb dürften bei den verschreibungspflichtigen Mitteln keinesfalls Marktpreise entstehen. „Und das geht aus unserer Sicht nur, wenn die Apotheken Struktursicherheit erhalten.“