Neviges. . Joseph Krämer, der vierte Kandidat unserer Serie „Glückspilze“, empfindet es als Glück, in einem Rechtsstaat frei seine Meinung sagen zu dürfen. Der 91-Jährige ist zudem Buch-Autor.

Ein Gespräch mit Joseph Krämer geht unter die Haut. Und hat, auf den allerersten Blick, wenig mit der herkömmlichen Auffassung von Glück zu tun. Vielmehr spricht der 91-Jährige frühere Stadtoberamtsrat der Stadt Velbert aus, was Teile einer ganzen Generation bewegt, sich aber nur wenige zu sagen trauen. Weil sie es verdrängen, wegschieben. Joseph Krämer hingegen stellt sich, wie er es selbst nennt, der „tiefen Schuld“, die er empfindet. Und sagt Sätze wie: „In der Gefangenschaft ist bei mir das Gefühl entstanden: Ich bin befreit worden.“

Ja, er empfinde es als Glück, als Marinesoldat den Krieg überlebt zu haben. Als Riesenglück, dass er 1943 bei der Musterung als „Nicht U-Boot-tauglich“ eingestuft wurde. „Das hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet, 90 Prozent der U-Bootfahrer kamen nicht wieder.“ Am 3. Mai 1945, also kurz vor Kriegsende, kam er im Hafen von Ankona für dreieinhalb Jahre in englische Gefangenschaft. Viele andere würden damit hadern, noch 70 Jahre später Zorn, gar Hass empfinden. Joseph Krämer dagegen sieht diese dreieinhalb Jahre in Ägypten und Libyen als eine Art seelische Reinigung, die noch immer nicht ganz abgeschlossen sei: „Ich bin damals irre im Kopf geworden. Ich erfuhr Dinge, die mir ungeheuerlich erschienen. Was hatte man uns erzählt? Ich habe den Eid auf einen der größten Verbrecher und Massenmörder geleistet.“ Seine Stimme wird lauter: „Ich habe so viel Mitschuld, das belastet mich. Das sind Dinge, die mich bewegen, die mich zu einem Demokraten gemacht haben.“

Bei Gesprächswunsch bitte Kontakt aufnehmen

Joseph Krämer möchte sich gern mit interessierten Menschen über politische Themen unterhalten. Auch in Schulen und Einrichtungen Vorträge zu halten, kann er sich vorstellen.

Wer mit Joseph Krämer in Kontakt treten möchte, bitte einfach melden unter
02051/65 826 oder per mail: joseph.kraemer@t-online.de.

Ende September 1948 wird der gebürtige Essener aus der Gefangenschaft entlassen, seine 1940 bei der Stadt Essen begonnene Ausbildung zum Verwaltungsangestellten endet am 9. November 1949. Daten, die Joseph Krämer absolut präsent sind. Weil sie etwas markieren, das für ihn mit dem Zustand „Glück“ ganz eng zusammenhängt; „Bildung, das ist ganz wichtig.“ Und natürlich jener Tag im Jahr 1951 – „Ich war damals mit der Führung von Haushaltsüberwachunsglisten beschäftigt“ – als ihm im Nebenzimmer des Rathauses eine junge Kollegin auffällt.

Vertraut mit der neuen Technik

Fünf Jahre später, am 30. Mai 1956, heiratete er seine Helga, vor kurzem feierte das Paar Diamantene Hochzeit. „Auch das ist für mich ein Riesenglück.“ Unendlich dankbar ist er für die Geburt der Kinder Thomas (58), Dagmar (53) und Jutta (48). „Alle konnten studieren, dank meiner Bildung und meines dadurch erzielten Einkommens.“ Dass seine Enkel Thorben (15) und Holger (12) wohl geraten sind, ja, auch das erfülle ihn mit einem tiefen Glücksgefühl.

Der rüstige Senior springt auf, greift einen „dicken Schinken“ aus dem Bücherregal. „Der große Ploetz“, die Bibel eines jeden Historikers, ist sein Lieblingsbuch. „Ja, Geschichte, das ist meine absolute Leidenschaft“. Dass seit nunmehr 70 Jahre Frieden in Deutschland herrscht, auch das empfindet Joseph Krämer als Glück. Dass er „fit ist im Kopf“, mit der Zeit gehen kann. Online Banking? Korrespondenz per E-Mail? Die Tageszeitung als E-Paper?

Alles völlig selbstverständlich, bloß nicht stehen bleiben, nicht verstauben. An seinem Computer hat er übrigens auch ein Buch geschrieben, das nicht käuflich ist, er aber seinen Enkeln und allen Interessierten ans Herz legt: „Die Werte einer Bildung.“ Seit 53 Jahren Mitglied der SPD, spricht er gern über politische Themen, zum Beispiel auch über das Grundgesetz. Und das besonders gern mit jungen Menschen. Kämpferisch blitzen seine Augen da auf: „Und geht wählen. Das Wahrecht ist eine Wahlpflicht!“ Joseph Krämer hält kurz inne. „Ja, unser Leben in der Freiheit, in der Demokratie, das ist wirklich ein ganz großes Glück.“