Velbert. . Ein Rückblick auf Gelungenes, Verpatztes und Vergessenes in der Stadt-Geschichte aus dem Blickwinkel einer Unternehmerin und eines früheren Politikers.
- Statt Thomas-Carrée-Bau hätte man laut Haun besser Areal zwischen Rathaus und Fußgängerzone erhalten
- Lob für die Querachse Blumenstraße
- Langenberg fehle die Grundversorgung
„Am Besten mal alles in einen Topf werfen und aus den guten Bestandteilen eine neue Stadt formen.“ – So lautet das auf den ersten Blick sehr radikal wirkende, jedoch keineswegs destruktiv und wohl auch etwas augenzwinkernd gemeinte Rezept von Gerd Haun. Der gebürtige Nevigeser und Ex-GSG-Lehrer blickte jetzt gemeinsam mit Dr. Jutta Scheidsteger, die seit 30 Jahren als Unternehmerin (Scheidsteger Medien) vor Ort engagiert ist, im Gespräch mit der WAZ auf Entwicklungen in den vergangenen Dekaden zurück. Hier der Lokalhistoriker, der als CDU-Kommunalpolitiker sowohl dem letzten Nevigeser als auch dem ersten (Gesamt-)Velberter Stadrat angehört hat, dort die Vorsitzende des Bergischen Geschichtsvereins (bgv/Abteilung Velbert-Hardenberg), die schon mit einigen hauseigenen Publikationen dafür gesorgt hat, dass viele Menschen Lokalgeschichte in die Hände bekommen.
Beide sind der Ansicht, dass sich doch „viel Positives“ getan habe. „Man kann nicht sagen, dass Velbert verschlafen ist!“ Allerdings hätte man Haun zufolge vieles noch besser machen können, „was fehlte, war ein Masterplan. So blieb vieles doch Stückwerk.“ Zu oft sei es nach „AVG“ gelaufen, nach „alter Velberter Gewohnheit“, moniert Haun und meint damit u. a. bauliche Abläufe und Entscheidungsfindungen. „Das war fatal.“
Thomas-Carrée „war ein Fehler“
Konkretes Beispiel? Statt das Thomas-Carrée zu bauen, hätte man besser dieses Areal zwischen Rathaus und Fußgängerzone als schönen Platz erhalten und gestalten sollen, ideal auch für Außengastronomie. „Urbanität definiert sich doch in erster Linie über Plätze“, sagt der 78-Jährige. „Das könnte ja jetzt die Aufwertung und Umgestaltung des Offersplatzes bringen“, hofft Jutta Scheidsteger, derweil Haun schon auf die künftige Unterbringung des Schlossmuseums schaut. Das brauche einen Architekten, „der Ansehnliches schafft und selbst Format hat“.
Ungeteiltes Lob gibt’s hingegen für die Querachse Blumenstraße mit „Medicum“ und „Alter Faktorei“, baulich und überhaupt. „Das – und auch die Spielschlange – war wirklich ne Aufwertung, wenn man das mit alten Bildern vergleicht.“ Noch mehr gute Noten vergeben die beiden Stadt-Beobachter für den Freizeit-Sektor. An vorderster Stelle nennen sie den „hervorragenden“ Herminghauspark mit dem Wasserspielplatz – dorthin muss übrigens Opa Gerd immer, wenn die Enkel zu Besuch sind – und dem Streichelzoo. „Der Park hat wirklich Tradition“, findet die bgv-Vorsitzende. Mehr als gut weg kommt auch der Panoramaradweg Niederbergbahn: „Was Besseres konnte man gar nicht machen.“
Langenberger Altstadt ist „absolut attraktiv“
Die Langenberger Altstadt sei absolut attraktiv, meint Jutta Scheidsteger und die Antiquariate ein sinnvoller Ansatz. „Sehr schöne Häuser, aber auch sehr unbelebt.“ Das liege nicht zuletzt an der fehlenden Grundversorgung. Ganz anders Neviges: „Da gehen Sie zum Bäcker, zum Metzger. Das bringt doch Leben in die Stadt.“ Langenberg habe ein idyllisches Stadtbild, aber die Infrastruktur sei in Neviges besser gelöst.
Viele Langenberger hätten vergessen, wie viele Millionen Mark in die Sanierung ihres historischen Ortskerns geflossen und dass sie bei der Neugliederung mit „schlaffen Hosen“ nach Velbert gekommen seien, merkt Haun kritisch an. „Die hatten ja ihre Stadtwerke nach Wuppertal verkauft, ihr Freibad gebaut und das Hallenbad vergrößert.“ Und das Bürgerhaus habe damals schon viel Geld gekostet, sei die erste große Investition der neuen Stadt Velbert gewesen. Da man „unbedingt Theater und Operette“ habe spielen wollen, seien damals aufwendige Umbauten erfolgt, um den Bühnenraum zu vergrößern.
Neid schadet der Gesamtstadt
„Vernünftige Schritte“ seien zweifellos der Birther A 44-Tunnel sowie der Ausbau zur A 535 gewesen: „Das hat sich bewährt. Die Lage war damals umstritten, aber goldrichtig.“ Wenn man sich heute die Autobahn wegdenke, wäre das „die glatte Katastrophe“. Nicht wegdenken wollen sich die Geschichtsinteressierten auch die zeitgemäßen Feuerwachen und das Klinikum. „Es ist schon gut, dass der Standort erhalten bleibt. So eine Grundversorgung ist enorm wichtig.“
Den ZOB habe man längst gebraucht. Allerdings hätten Autofahrer, die Kinder oder Gäste abholen bzw. hinbringen wollten, das große Problem, ringsum nicht parken zu können. Als unverzichtbar bewerten Scheidsteger und Haun auch den Umstand, dass Bücherei und Musikschule in allen drei Bezirken mit Standorten präsent sind. Das sei wichtig für die wohnortnahe Versorgung und die Lebensqualität, zumal so viel zu weite Wege vermieden würden.
Beide Historiker sind der Ansicht, dass Neid und Animositäten zwischen den drei Bezirken letztlich der Gesamtstadt schaden. Das sei darin begründet, dass es zuvor konkurrierende Städte gewesen seien, lautet der Erklärungsansatz von Gerd Haun: „Das wirkt bis heute nach.“ Ob sich das nach und nach verliere? Da haben die zwei – gerade von jüngeren Bürgern – oft einen ganz anderen Eindruck. „Das wird sogar wieder mehr gepflegt“, sagt Jutta Scheidsteger.