Velbert. . Körperliche und verbale Attacken von Fahrgästen seien keine Seltenheit, sagt Dirk N. Er selber war schon mehrfach Opfer von aggressiven Fahrgästen.
Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie sind Busfahrer und transportieren jährlich zehntausende Fahrgäste. Eines Tages, während der letzten Runde vor Dienstschluss, verlangt ein Fahrgast eine andere Fahrtroute, um schneller ans Ziel zu kommen, Sie weigern sich, plötzlich schlägt der Fahrgast von hinten auf Sie ein, zerrt am Arm und spuckt Ihnen in den Nacken.
Das ist Rheinbahn-Busfahrer Dirk N. vor einigen Jahren in Velbert passiert, bei zwei weiteren Vorfällen in Düsseldorf wurden ihm die Mittelhandknochen gebrochen und er wurde blutig am Kopf verletzt. „Solche schweren Übergriffe sind glücklicherweise nicht die Regel“, sagt Dirk N., „aber es gibt eben mehrere Fälle im Jahr, bei denen es zu heftiger Gewalt gegenüber Busfahrern kommt. Wenn da während der Fahrt etwas passiert, möchte ich mir gar nicht ausmalen, was das alles auslösen kann! Bei aggressiven Fahrgästen an Bord kann man gar nicht weiterfahren.“
Eine größere Sicherheitsscheibe zum Fahrgastbereich hin könne mehr Sicherheit bieten, besonders an Wochenenden seien solche Scheiben in den Nachtexpress-Linien unbedingt erforderlich: „Die Nachtbusse dürften gar nicht ohne diese Scheiben fahren“, beschwert sich Dirk N., „da hat man jedes Wochenende Verletzte, die Leitstelle beschwichtigt die Fahrer dann. Die Polizei wird nur selten dazu gerufen – was soll das denn auch bringen?“ Denn der Angreifer renne davon und werde sowieso nicht gefasst, klagt der Busfahrer. Da bleibe nur nach Dienstschluss der Weg zu Polizeiwache, um eine private Anzeige gegen unbekannt zu stellen.
Beschimpfungen nicht erfasst
„Die Unternehmen müssen sich mal überlegen, dass sie der Ausfall eines Fahrers und die Ausbildungskosten für einen Ersatzfahrer mehr kosten, als präventiv in Sicherheitseinrichtungen zu investieren. Einige Busfahrer hören aus psychischen Gründen sogar freiwillig auf.“ Besonders erschreckend für ihn sei ein Vorfall an einer Düsseldorfer Haltestelle gewesen: „Drei junge Männer haben einfach mal entschieden, wir machen heute ,Busfahrerklatschen’. Einer hat sich an den Haltestangen im Bus festgehalten und mir ins Gesicht getreten. Meine Brille ist weggeflogen und ich bin mit dem Kopf gegen die Decke geknallt, anschließend wollten alle drei flüchten.“
Dirk N. sieht ein Problem bei der Ausstattung der Fahrzeuge: „Hätten wir eine Glasscheibe“, wiederholt er, „die auch nur ein Stück über die Schulter des Fahrers hinausgeht, wäre der schon einmal besser geschützt und hätte bei Angriffen von Hinten genügend Zeit, das Fahrzeug sicher zum Stillstand zu bringen.“ Bushersteller bieten denn auch verschiedene Schutzeinrichtungen für Fahrer an – von Notschaltern, halbhohen Glasscheiben bis hin zu einer vollverschlossenen Kabine.
Andere Angriffe wie Beschimpfungen oder leichtere körperliche Auseinandersetzungen würden gar nicht erst durch die Statistik erfasst, sagt Dirk N., „das hält die Angriffsstatistik der Betriebe natürlich schön niedrig.“ Schlimm seien außerdem die psychologischen Folgen: Manche Fahrer würden deshalb gar arbeitsunfähig.
Verkehrsbetriebe sind unterschiedlicher Ansicht
Einige Verkehrsbetriebe halten dagegen, dass eine vergrößerte Glasscheibe die Kommunikation zwischen Fahrgast und Fahrer störe und dass auch eine Sicherheitsscheibe nur begrenzten Schutz vor Angriffen biete. Außerdem sei die Anzahl von derart gewalttätigen Übergriffen bei elf Milliarden Fahrgästen im öffentlichen Personennahverkehr deutschlandweit sehr gering: Die Verkehrsbetriebe melden offiziell zwischen 15 und 40 tätliche Übergriffe jährlich.
Georg Schumacher, Pressesprecher der Rheinbahn, deren Busse hier in Velbert fahren, meint, dass viele Angriffe in den Pausen stattfänden und der Fahrer sich dabei außerhalb des Busses befinde: „Schutzeinrichtungen im Bus können da also ohnehin nicht weiterhelfen. Das ist im Grunde ein Zielkonflikt, so dass wir keine gleichzeitige Nähe zum Fahrer und eine absolute Sicherheit erreichen können. Wir können natürlich darüber nachdenken, die vorhandenen Glasfronten um mehrere Zentimeter zu verlängern, im Vergleich zu den 200 000 Euro, die ein Bus kostet, sollte das kein finanzielles Problem sein.“
In Wuppertal sieht man das ähnlich: Holger Stephan, Pressesprecher der WSW, erklärt dazu: „Bei Angriffen mit einer Zwille (Steinschleuder) hilft das Glas beispielsweise nicht, Fahrgäste fühlen sich auch wohler, wenn der Fahrer sich nicht abschottet.“
In Essen hingegen wurden zahlreiche Busse mit vergrößerten Glasscheiben ausgestattet. Dennoch ereignete sich am 29. Dezember 2015 ein Angriff auf einen Fahrer der Verkehrsbetriebe Evag – der Fahrer erlitt dabei schwere Kopfverletzungen und musste im Krankenhaus operiert werden. Nach Aussage des Busfahrers zeigte der Mann ihm ein ungültiges Fahrticket vor, woraufhin er diesem eine Mitfahrt verweigerte. Der Zwanzigjährige schlug nach Zeugenaussagen daraufhin mehrfach auf den Fahrer ein – auf den Aufnahmen der Videoüberwachungskamera ist zu sehen, dass dieser Bus nicht mit einer verlängerten Schutzscheibe ausgestattet war.
Deutscher Beamtenbund hat Internetplattform eingerichtet
Der Deutsche Beamtenbund hat am Freitag unter dem Motto „Gefahrenzone öffentlicher Dienst“ eine Internetplattform online gestellt, auf der Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst Gewalttaten melden können.
Auf www.angegriffen.org sollen beispielsweise Politessen, Feuerwehrmänner, oder Bahnmitarbeiter Beschimpfungen, Beleidigungen und auch Angriffe melden. Die Meldeplattform soll erstmals verlässliche Zahlen zu solchen Übergriffen liefern. Nicht nur auf der Straße, sondern auch in Behörden oder im Krankenhaus wird angegriffen und gedroht. „Unsere Mitarbeiter haben bereits eine gewisse Routine darin, Streitigkeiten diplomatisch zu klären und zu deeskalieren“, erklärt Ulrike Müller, Pressesprecherin des Klinikums Niederberg auf WAZ-Anfrage. Fakt sei: „Beschimpfungen und Drohgebärden gegenüber Ärzten und Pflegepersonal nehmen zu.“ Vor allem in der Interdisziplinären Notaufnahme, in der nach Dringlichkeit und nicht der Reihenfolge des Eintreffens behandelt werde, seien Patienten oft ungehalten wegen der Wartezeiten. „Wenn Streitereien weniger harmlos verlaufen“, so Ulrike Müller, „müssen wir auch schonmal die Polizei verständigen.“
Auch in den Jobcentern des Kreises erlebten die Mitarbeiter „immer wieder bedrohliche Situationen“, erklärt Pressesprecherin Martha Ogorka. „Das ist grundsätzlich immer ein ernstes Thema. Wir arbeiten in den Jobcentern in einem hochsensiblen Umfeld – deshalb gibt es auch einen internen Sicherheitsdienst in allen Geschäftsstellen.“ Die meisten Kunden, betont Ogorka, seien aber friedlich und wollten nur ihr Anliegen klären.