Velbert-Langenberg. . Ulrike Fieger entdeckte vor vier Jahren ihre Begeisterung für die Kurrent-Schrift. Sie sammelt Bücher und korrespondiert mit bald 40 Brieffreunden.

Otto von Bismarck soll nicht nur eine unangenehm hohe Fistelstimme gehabt haben; der eiserne Kanzler hatte auch „eine schlimme Handschrift“. Ulrike Fieger hat sich schon mehrmals mit der Klaue des Fürsten geplagt – ein Übungsobjekt für Fortgeschrittene.

Dabei korrespondiert die Langenbergerin doch ausschließlich mit ausgewiesenen Schönschreibern. Aber auch sie pflegen die bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete Kurrentschrift (und ihre etwas moderne Variante, das Sütterlin). „15 feste Briefreunde“ zählt Ulrike Fieger bisher – bald werden 25 weitere hinzukommen. Dann übernimmt sie Verantwortung für die regionale Gruppe der DKS. Das Kürzel steht für „Deutsche Kurrent Schrift“, ein in der Schweiz gegründeter Club mit weltweit 400 Mitgliedern. Selbst in Südamerika pflegen Briefeschreiber die aus heutiger Sicht aufwendigen Schwünge der alten Schrift. Auch in der Ukraine gibt es Korrespondenten. „Der Briefverkehr dort ist zur Zeit sehr schleppend“, weiß Ulrike Fieger.

Die ungeliebte Schul-„Schönschrift“

Als Kind kannte sie noch die „Schönschrift“ – ohne sie geliebt zu haben. Und ihre Mutter schrieb Einkaufszettel „halb Latein, halb Sütterlin“, die nur die ebenso alte Ladenbesitzerin zu entziffern wusste. Die heute so begeisterte Briefe-Schreiberin bis in die Nacht fand 2010 durch einen WAZ-Bericht zu ihrer Passion. Langenbergs stadtbekannter Sütterlin-Experte Helmut Kreze ist nämlich fast ihr Nachbar: „Er hat bei mir privat unterrichtet.“

Heute ist der einzige Kompromiss der Sütterlin-/Kurrent-Begeisterten in ihrer Korrespondenz der Umschlag: Die Adresse sollte besser in lateinischer Schrift zu lesen sein. Sie kennt die postalischen Irrwege, wenn’s mal wieder einer vergisst. Dabei kann die stolze Korrespondentin sogar Briefe vorweisen, deren Bütten – wie zu Goethes und Schillers Zeiten – ohne Kuvert sorgfältig gefaltet und mit Wachs versiegelt sind. Ein Brieffreund aus Ostdeutschland illustriert seine mehrseitigen Briefe mit Zeichnungen, manchmal sogar kleinen Aquarellen: Rehe im Birkenwald der mecklenburgischen Darß-Halbinsel.

Da ist es gar nicht mehr weit zu den oft ebenfalls prächtig bebilderten Büchern, Heften und Schulfibeln, die Ulrike Fieger sammelt. „Alles“, sagt sie emphatisch, „alles, was alt ist.“ Eine bescheidene Heftchen-Ausgabe des „Struwwelpeter“, illustriert nur mit schwarz-weißen Strichzeichnungen, zählt ebenso zu ihren Schätzen wie ein prächtig gestalteter Widmungsband aus der Leipziger Verleger-Dynastie Reclam. Einen „Wälzer“ nennt Ulrike Fieger – despektierlich, aber zutreffend – diese Sammlung aufwendig reproduzierter Handschriften. „In Luft und Sonne“ heißt ein weiteres Schmuckalbum – das sogar königliche Schriftschnörkel in seinem blaugoldenen Einband birgt.

Sie „übersetzt“ für Ausstellungen

Das volkstümliche Gegenstück wären – na klar: Poesiealben. Auch davon hütet die Sammlerin einen kleinen Bestand, gut bestückt mit Glanzbildern (den guten, alten „Filipchen“), aber vor allem in der alten Schrift. „Beängstigend“ nennt sie manche Einträge aus der NS-Zeit: „Man sieht schon an der Schreibweise, wer dem Führer folgte.“

Tatsächlich hat Ulrike Fiegers Hobby wissenschaftlichen Wert: Denn gerne hilft sie als „Übersetzerin“ ihrer Cousine, die als freiberufliche Kuratorin oft mit historischen Briefen arbeitet. „Wenn sie schön sauber geschrieben haben“, sagt die Liebhaberin von Bütten, Feder und Siegelwachs, „kann ich auch Briefe aus dem 18. Jahrhundert entziffern.“ Goethe war damals ein junger Wilder, und Schiller paukte in der fürstlichen Karlsschule.