Saskia Hillen ist an Muskelschwund erkrankt. Viele Menschen helfen ihr, sich Wünsche zu erfüllen- wie das Reiten, das sie von früheren Therapien kennt.

„Ich will keine Mitleidsstory!“ Das ist Saskia Hillens ausdrücklicher Wunsch. Als sie an diesem grauen Tag um die Ecke biegt, ist ein Hauch Anspannung zu spüren. Ein Wagen des Wuppertaler Jugendrotkreuzes parkt auf dem Hof der Familie Nippus, überall wuselt jemand umher. Mittendrin putzt Sophia, mit dreizehn Jahren die jüngste der Nippus’, ihr Pony Lotti auf Hochglanz. Kein Turnier, nein, eine vielleicht viel wichtigere Aufgabe steht den beiden bevor.

Denn Saskia Hillen hat einen Wunsch: Sie möchte reiten. Wie früher, während der Hippo-Therapie, mal wieder die Bewegungen eines Pferdes spüren. Saskia ist seit ihrer Geburt an Kongenitaler Muskeldystrophie, kurz Muskelschwund, erkrankt. Sie sitzt im Rollstuhl, kann nur ihre Hände bewegen. „Es reicht für Tastatur und Smartphone“, erklärt Saskia, „aber vor dem offenen Kühlschrank würde ich verhungern.“ Krabbeln oder gar laufen, das konnte sie nie.

Mit vier Helfern aufs Pony gehievt

Aufgeregt wartet sie in einer Ecke der Reithalle. Norbert Funke vom Jugendrotkreuz legt ihr Schutzweste und Helm an, fixiert den Hals mit einer Stütze. Währenddessen führt Reitstallbesitzerin Patricia Nippus Pony Lotti durch die Halle. Der schwerste Akt steht allen noch bevor. Saskia muss aufs Pony, egal wie. Mit vier Helfern wird sie auf den Rücken gehievt. Sophia, die hinter ihr sitzt, schwingt die Arme fest um ihren Oberkörper, links und rechts drücken Helfer Saskias Beine an Lotti. Das Pony steht still.

Eigentlich sollte Saskia auf Voltigierpferd Far Lap reiten, doch der 1,80 Meter hohe Pferderücken wäre schier unerreichbar für die 22-Jährige gewesen. Überhaupt, der Wunsch zu reiten, er stand schon auf der Kippe. Krankenschwester Tina Götze rief bei Therapiehöfen an – nur Absagen. „Zwei Menschen auf einem Pony seien zu schwer“, hieß es hier. „Wer einmal reitet, möchte es immer wieder“, hieß es dort. „Einen Elefanten zum Reiten zu finden, schien einfacher“, erinnert sich Saskia. Dann versuchten sie es persönlich, standen bei Nippus vor der Tür. „Das war für uns gar keine Frage“, sagt Patricia Nippus, „natürlich wollten wir helfen.“ Auch für die Reiterstaffel des Jugendrotkreuzes stellte sich die Frage nicht. Ein neunköpfiges Helferteam ist eigens angereist, um Saskia Hillen ihren Wunsch zu erfüllen.

Anstrengender Ritt

Etwa 20 Minuten dreht sie nun Runde um Runde durch die Halle. „Mega anstrengend“ findet sie es, „aber doch gut.“ Die Haltung auf Lottis Rücken ist sie nicht gewöhnt, „das wird Muskelkater geben“, scherzt die Studentin der Heilpädagogik im fünften Semester an der EFH Bochum. Und lächelt doch ziemlich glücklich ihre Begleiterinnen an. Freundin Nikol Söhnlein und Krankenschwester Tina Götze stehen die Tränen in den Augen.

Mit oder auch dank ihnen erlebt Saskia Hillen viel in ihrem Leben. Die Fahrt mit 250 Stundenkilometern im Rennwagen auf dem Nürburgring, den Besuch beim Tätowierer, die Spiele beim Lieblingsverein Borussia Dortmund. „Ich nehme mit, was ich kriegen kann, jetzt und sofort“, das ist das Motto der 22-Jährigen. „Auf die lange Bank schieben kann ich nichts.“ Ihre Prognose ist schlecht. „Die meisten mit meiner Erkrankung werden nicht älter als 30.“ Saskia hat Wünsche, oder besser gesagt Ziele in ihrem Leben, die sie mit eisernem Willen verfolgt. Sie möchte ihr Studium abschließen, danach vielleicht noch etwas studieren. „Den Kopf fit halten“, sagt sie, „denn praktisch arbeiten, das geht ja eher schlecht.“ Gleichzeitig ist sie auf alles vorbereitet, hat ihre Beerdigung bereits geplant. „Für viele ist das ein Tabu-Thema, ich sage lieber, was ich will.“ Saskias Willen beeindruckt Patricia Nippus. „Bewundernswert“ findet sie ihre ganze Persönlichkeit, ihre offene Art. Und auch Sophia wirkt nachdenklich. Wie unwichtig erscheinen plötzlich all’ die Probleme des Alltags, eine schlechte Schulnote, der Ausgang des nächsten Turniers.

Und welche Bedeutung bekommt denn nun eigentlich das Glück dieser Erde?