Die Bundesregierung hat den Wehr- und Zivildienst auf sechs Monate verkürzt. Jetzt müssen Freie Träger umdisponieren.
Beim Wehrdienst hat man auch nach sechs Monaten eine abgeschlossene Grundausbildung, kein Problem also. „In der Landschaftspflege, dem Handwerk oder Hausmeistertätigkeiten hat die Verkürzung keinen bitteren Beigeschmack, sehr wohl jedoch beim Zivildienst direkt am Menschen“, so Christoph Grätz, Pressesprecher der Caritas für das Bistum Essen. Probleme wird es in der Altenpflege oder der Betreuung von Menschen mit Behinderung wie in der Werkstatt der Stefansbecke geben.
Hier verrichten behinderte Menschen Montagearbeiten unter Aufsicht von Sonderpädagogen. „Um in der Betreuung von behinderten Menschen arbeiten zu können, braucht man eine gewisse Eingewöhnungszeit- nicht nur, um die die Gesamtorganisation kennenzulernen, sondern gerade auch um Berührungsängste abzubauen“, erklärt Jörg Alexander, Zweigstellenleiter der AWO-Einrichtung in Haßlinghausen. „Erst nach drei Monaten kann ich den Zivi aktiv überall einsetzten. Wenn er dann abzüglich der Urlaubs- und Weiterbildungstage gerade mal zwei Monate bleibt, macht sein Einsatz nicht mehr viel Sinn“.
Die Konsequenz für Alexander ist klar: In der Betreuung keine Zivis mehr. „Natürlich würde die AWO auch ohne Zivildienstleistende weiterhin bestehen, jedoch würden viele Zusatzleistungen einfach wegfallen“, so Jochen Winter, Geschäftsführer der AWO im Unterbezirk Ennepe-Ruhr-Kreis. Früher konnten sich Zivildienstleistende viel Zeit für eine intensive Betreuung nehmen, für ältere Menschen einkaufen gehen, ihnen die Zeitung vorlesen, alles tun, was die Lebensqualität steigert. Durch die Verkürzung zieht der in der Pädagogik unerwünschte Faktor „Zeit“ in die Arbeit mit den Menschen ein. Zeit, die an vielen Stellen fehlen wird.
Winter: „Ich sehe Zivildienst als eine win-win-Situation. Junge Männer erstmals mit sozialen Berufen in Kontakt und sammeln Erfahrungen, die sie auch später im Leben weiterbringen“.
Ein weiteres Problem, was sich durch die Verkürzung verschärft, ist das Frühlingsloch. Derzeit sind gerade mal zehn der 31 möglichen Plätze der AWO im Bereich Sprockhövel und Hattingen besetzt. Der Grund: neun Monate sind um und die Neuen kommen erst nach dem Schulabschluss im Sommer. Wie wird es aussehen, wenn der Dienst nur noch sechs Monate dauert? Ein halbes Jahr lang unbesetzte Stellen?
Auch hier soll es eine neue Regelung geben. Wer möchte, kann seinen Dienst freiwillig auf entweder neun oder zwölf Monate verlängern. Dies darf allerdings erst nach dem zweiten Dienstmonat festgelegt werden, damit es kein Rosinenpicken der Langzeitzivis gibt. „Das macht die Sache auch nicht besonders planbar“, klagen die Arbeitgeber.
Anders als beim Wehrdienst, steigt das Gehalt bei freiwilliger Verlängerung nicht. Jörg Alexander fehlt die Gerechtigkeit: „Es ist ein allgemeines Problem der Gesellschaft, dass Pflegeberufen zu wenig Anerkennung geschenkt wird“.
Er wird in Zukunft lediglich Zivildienstleistende als Essenausfahrer für die AWO-Großküche „enculina“ einstellen.
Hoffnungsträger sind jetzt junge Männer, die ein „freiwilliges soziales Jahr“ als Alternativ zum Wehr- oder Zivildienst ableisten wollen. Denn: Ein Jahr hat 12 Monate.