Sprockhövel. Stadtverwaltung und Frauenhaus verzeichnen keinen Anstieg bei Problemfällen seit der Kontakteinschränkung. Das könne sich aber noch ändern

Häusliche Gewalt werde in der Folge der Corona-Pandemie zunehmen, befürchten Experten. Erste Zahlen aus Nordrhein-Westfalen suggerieren zwar eine gegenteilige Entwicklung, denn laut Innenministerium in Düsseldorf ging die häusliche Gewalt in den ersten Märzwochen im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um 30 Prozent zurück. Jedoch sind die Zahlen vorläufig und nicht verlässlich. In Sprockhövel meldet die Stadtverwaltung bislang keine Zunahme bei den Problemfällen, wo etwa das Jugendamt hätte einschreiten müssen.

Sechs Mitarbeiterinnen im Sozialen Dienst

"Wir haben sechs Mitarbeiterinnen im sozialen Dienst, die - wenn auch nicht alle in Vollzeit - auch in Corona-Zeiten erreichbar sind, sowohl hier im Rathaus wie auch im Homeoffice", berichtet Jens Kozay, stellvertretender Leiter des Jugendamtes. Seit dem 23. März gelten die Kontakteinschränkungen, wo auch größere Familien plötzlich den großen Teil des Tages gemeinsam in der oftmals viel zu kleinen Wohnung verbringen müssen. Die gute Nachricht: Der unfreiwillige Verlust an Bewegungsfreiheit hat in Sprockhövel noch keine vermehrten Hilferufe nach sich gezogen. "Aber auch ohne Corona haben wir in unserer Stadt immer eine Zahl von Familien, die etwa durch ambulante Erziehungshilfen und Jugendhilfemaßnahmen unterstützt werden müssen", sagt Kozay.

Kontaktaufnahmen auch im Freien

Die sonst üblichen Kontaktaufnahmen mit städtischen oder Mitarbeitern von der Stadt beauftragter Hilfsorganisationen finden virusbedingt zurzeit nicht in den Wohnungen der Betroffenen, sondern über soziale Medien, am Telefon oder mit dem gebotenen Abstand unter freiem Himmel statt. "Wir haben in den zurückliegenden Wochen aber auch den Eindruck gewonnen, dass sich unsere Klienten unter den verschärften Bedingungen vorgenommen haben, die Nerven zu behalten", lobt der Sachgebietsleiter.

Gute Wetter sorgt für Entzerrung

Doch das müsse nicht so bleiben, bei der Stadt rechnet man durchaus mit größeren Problemen, wenn die Beschränkungen andauern, "und wenn die gute Witterung vorbei sein sollte und die Kinder nicht mehr draußen spielen können", gibt Jens Kozay zu bedenken. Gutes Wetter verleite zwar viele Menschen zu Aktivitäten und steigere die Gefahr von zu viel Nähe, andererseits trage der Aufenthalt im Freien aber auch zur "Entzerrung" der häuslichen Situation bei, sagt Kozay. Jens Weitere Belastungen seien vielfach Suchtproblematiken und Alkoholismus. Bewährt habe sich ein enges Geflecht an zuständigenund kompetenten Partnern für die Stadt wie etwa Pro Familia oder die evangelische Beratungsstelle in Ennepetal, die Fachpersonal zur Verfügung stellen.

Gewalt kann auch unsichtbar stattfinden

Jens Kozay und auch Marion Steffens, Leiterin des Frauenhauses, fürchten jedoch weit mehr als die ihnen bereits bekannten Problemfälle all das, was an Gewalt für Außenstehende unsichtbar in den Wohnungen geschieht. "In der ersten Woche nach den Beschränkungen haben wir sogar festgestellt, dass unsere Beratungsangebote weniger als sonst in Anspruch genommen wurden", sagt Marion Steffens. Das sei kein gutes Zeichen, weil in der Isolation weniger Möglichkeiten etwa für Frauen existieren, Hilferufe abzusetzen. "Dann wächst die Zahl der Frauen, die aus Angst vor Ansteckung mit dem Virus das Frauenhaus als Akutlösung ablehnen", berichtet die Einrichtungsleiterin. Wie Jens Kozay ist auch Marion Steffens überzeugt, dass mit der Verlängerung der Bewegungseinschränkungen die Anzahl der Menschen, jung oder älter, die Gewalterfahrungen zu Hause machen, steigen wird.

Stadt-Land-Gefälle

Bundesfamilienministerin Giffey (SPD) sieht diese Gefahr in Deutschland vor allem in den Städten. „Aus den Ländern bekommen wir unterschiedliche Rückmeldungen. Es gibt offensichtlich ein Stadt-Land-Gefälle“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Aus ländlichen Regionen, wo es mehr Möglichkeiten gebe, raus zu gehen und wo Menschen nicht so sehr auf engem Raum lebten, sei das Konfliktpotenzial nicht so hoch.