Sprockhövel. Nach einem Nachbarschaftsstreit in Sprockhövel verlässt die Angeklagte den Gerichtssaal mit einem „Freispruch erster Klasse“, so der Richter.

Um einen handfesten Nachbarschaftsstreit ging es vor dem Amtsgericht: Alkohol war an dem Sommerabend im vergangenen Jahr reichlich geflossen, dann ging es plötzlich gewalttätig zur Sache.

Eine junge Frau hatte dem Nachbarn schließlich eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen. Aber nachdem alle Parteien vor Richter Karl Martin Lucks ihre Aussage gemacht hatten, stand fest: „Die Angeklagte T. trifft überhaupt keine Schuld. Das ist ein Freispruch erster Klasse“, sagte Lucks.

Nervös sitzt die Auszubildende auf der Anklagebank

Auch interessant

Sichtbar nervös sitzt die Auszubildende auf der Anklagebank und schildert den Abend. Erst gibt es Beleidigungen, dann packt Nachbar U. ihren Hals, sie spürt einen mächtigen Druck. „,Ich schlag’ auch Frauen’, hat er gesagt“, schildert die junge Frau. Es gibt ein Gerangel zwischen ihrem Vater und dem Nachbarn, Schreie, eine andere Frau mischt sich ein, niemand weiß so recht, was da eigentlich passiert. Weil sie Angst bekommt und Sorge um ihren Vater hat, nimmt die Auszubildende eine Bierflasche und zieht sie dem Nachbarn über den Schädel.

Vorbei war der Genuss des lauen Sommerabends, es kam die Polizei und nahm alles auf. Der Abend war gelaufen. Dass Nachbar U. gesagt hat, er schlage auch Frauen, wurde von mehreren Zeugen bestätigt. Zu der Frau, die sich in den Streit einmischte, sagt Richter Lucks: „Und dann haben Sie Herrn T. eine gezimmert?“ Das bestätigt die Zeugin. „Ja, mit der flachen Hand.“

„Wir haben uns geprügelt, es war ja auch Alkohol im Spiel“

Der 56-Jährige Zeuge U. schildert aus seiner Sicht den Abend. „Wir haben uns geprügelt, es war ja auch Alkohol im Spiel.“

Der Richter stellt fest, dass das wohl keine gute Idee gewesen sei und fragt, ob er gesagt habe, er schlage auch Frauen? U. kann das nach längerem Nachdenken nicht ausschließen. Sowohl der Verteidiger der Auszubildenden als auch der Richter wollen wissen, ob er die junge Frau „am Hals gepackt“ habe. Das sei wohl so gewesen, gibt U. zu, „ich hab’ sie nur an die Seite gestellt“, sagt er und machte eine Bewegung, als stellt er beim Aufräumen eine Limonadenflasche von rechts nach links. „Es wäre jetzt mal an der Zeit, sich bei Frau T. zu entschuldigen“, stellt Karl Martin Lucks fest. „Ich entschuldige mich“, so U.

Staatsanwältin spricht sich dafür aus, die Angeklagte freizusprechen

Die Staatsanwältin spricht sich dafür aus, die Angeklagte freizusprechen. Es habe sich um Notwehr und Verteidigung gehandelt, um ihrem Vater zu helfen. Das habe nichts mit Vorsätzlichkeit zu tun. Auch der Verteidiger von T. erklärt, dass das Handeln seiner Mandantin nichts mit einem Exzess gemein habe.

Streitsüchtiger Norden

Streit mit den Nachbarn gehört in Deutschland schon fast „zum guten Ton“. Laut einer Umfrage bei einem großen Versicherungskonzern hatte fast jeder zweite Deutsche schon einmal Streit mit den Nachbarn.

Dabei gibt es ein auffälliges Nord-Süd-Gefälle. Die Nordlichter scheinen streitsüchtiger zu sein als der Rest der Republik. Lärmbelästigung liegt mit 74 Prozent der Problemfälle an der Spitze der Streitgründe.

In seiner Begründung, das Verfahren einzustellen und die Angeklagte freizusprechen, führt der Richter an, dass das Gegenteil von dem bewiesen worden wäre, was anfangs im Raum stand. „Eigentlich hätte das hier gar nicht verhandelt werden dürfen“, stellt Lucks fest, der schon vor der Verhandlung seine Zweifel hatte, ob eine Anklage gerechtfertigt ist.

„Natürlich darf man seinem Vater helfen, wenn er in Not gerät. Das ist dann sogar absolut in Ordnung,“ so der Richter. Er macht als letztes noch deutlich, dass das für die junge Frau ein Freispruch „erster Klasse“ sei. Die Kosten des Verfahrens habe die Staatskasse zu tragen, betont er.