Sprockhövel. 29 stramme Westfalen vom Shantychor verschieben Sprockhövel dienstagsabends mit internationalen Seemannsliedern an die Waterkant.

Nah am Wasser gebaut ist Sprockhövel fürwahr nicht. Beim Tag der offenen Tür im Steinbruch Weuste konnten interessierte Besucher im Frühjahr immerhin erfahren, dass vor rund 300 Millionen Jahren die Region von Meer bedeckt und Sprockhövel in Äquatornähe zu finden war.

Die Kontinentalplatten haben sich in der Zwischenzeit etwas verschoben, und Sprockhövels letztes maritimes Relikt dürfte ein Shantychor sein, der sich dienstags um 19 Uhr im „Amtshaus“ zur Pflege entsprechenden Liedguts trifft. Stramme westfälische Jungs sind das, die sich nach einem gemeinsamen Gläschen Pils in den Gesellschaftsraum der Gaststätte zurückziehen. Chorleiter Klaus Möbius, der vor zwei Jahren bei den Haßlinghausern angeheuert hat, beherrscht die wichtige Fertigkeit, die 29 zumeist an Einzeltischen sitzenden Sänger mit dem Akkordeon zu begleiten. Seemannslieder von ehedem, das weiß jedes Kind, wurden zuallererst auf Schiffen gesungen, da steht kein Klavier herum, und Begleitbands waren noch nicht erfunden. Allenfalls eine Gitarre oder eine Trommel begleiteten diese Arbeiterlieder auf den Ozeanen. Bei den Sprockhövelern versieht letzteren Job ein bisschen stilbrüchig, dafür aber musikalisch umso überzeugender Sabine Birkenstock – die Schlagzeugerin ist die einzige Frau an Bord.

Aktuell ist beim Shantychor viel frischer Wind im Segel, denn das vorvergangene Wochenende verbrachten die Sangesbrüder an der See. Beim „3. Banter Shantychor-Festvial“ in Wilhelmshaven präsentierten sich die Jungs in schönster Uniform – weiße Hose, blaue Bluse. „Und bei prächtigem Wetter in bester Laune und stimmlich in Hochform“, strahlt Rolf Fiege, der Vorsitzende mit dem Anker-Tattoo auf dem Unterarm. Auf einem Feuerlöschboot waren fünf Shantychöre im Einsatz, Formationen mit wettergegerbten Norddeutschen und auch ein holländischer Chor.

„Das motiviert fürs ganze Jahr“, meint auch Hilmar Lindemann vom Vorstand, bei Auftritten für seine launigen Moderationen bekannt. Rund 1000 Besucher hätten den Seemannsliedern gelauscht. Fiege und Lindemann sind übrigens im Gegensatz zu den übrigen Landratten im Chor die einzigen Mitglieder mit Salzwasser im Blut: Beide haben bei der Marine Grundwehrdienst geleistet, Lindemann ist danach noch bei der Handelsmarine gewesen.

Den beiden fiel es vor diesem Hintergrund nicht schwer, sich mit ihrer Freude am Gesang in einem Shantychor zu engagieren. „Der Vorgängerchor MGV Haßlinghausen 1895 war nach etwa 100-jährigem Bestehen nicht mehr singfähig“, berichtet Fiege. Die verbliebenen 13 Sänger kamen auf die Idee, es künftig mit Seemannsliedern zu versuchen – eine kluge Entscheidung, wie sich zeigte. Der Chor gewann nach der Gründungsversammlung 2000 rasch neue Mitglieder.

Möbius ruft zur Probe: „Weiß ist das Schiff, das wir lieben“ – das Gorch-Fock-Lied ist ein Klassiker. Später ist „Sailing“ dran: Männlichkeit und Sehnsucht liegt in den Stimmen, ganz wunderbar. So hat das die englische Rock-Röhre Rod Stewart nie auf die Bühne gekriegt.