Oberhausen. .

Der Junge – wir nennen ihn Paul – wirkt rastlos, wie auf der Suche, er ist von Veränderungen im Alltag schnell irritiert, es fällt ihm schwer sich zu konzentrieren. „Paul“ ist aber nur ein Beispiel: „Es gibt bei uns einige Kinder, die schon früh Dinge erlebt haben, an denen andere verzweifelt wären“, führt Traumatherapeutin Dorothea Bierod von der Tagespflege „Heldenburg“ solche Symptome auf ihren Kern zurück: ein Trauma, das durch Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch ausgelöst wurde. „Für uns sind aber gerade diese Kinder Helden“, sagt Bierod.

So erklärt sich die Namensgebung dieser besonderen Stätte an der Westfälischen Straße, wo man traumatisierten Kindern unter die Arme greift, sie wieder aufbaut: Heldenburg. Denn jeder Held braucht eine Kraft, die ihn wie eine Rüstung beschützt. Eine solche Rüstung lernen die Kinder – sie sind zwischen sechs und 13 Jahren – sich mit Hilfe von Pädagogen und Psychotherapeuten zu „schmieden“. Die Heldenburg ist Teil des Psychodynamisch-traumapädagogischen Zentrums. Im Gegensatz aber zur „einfachen“ Verhaltenstherapie führt ihr Ansatz psychologisch in die Tiefe: „Das Verhalten ist ja nur ein Symptom“, erläutert Bierod, „wir lernen zunächst zu verstehen, warum sich das Kind so entwickelt hat, und helfen ihm dann dabei, das Erlebte in gefilterter Form zu verarbeiten und eine starke Persönlichkeit zu entwickeln.“

Rezepte für die Seele ohne Medikamente

Statt Medikamente haben die Mitarbeiter andere wirksame Rezepte für die Seele. Sie schulen etwa das Einfühlungsvermögen der Kinder, indem sie sie beobachten und eine Situation nachempfinden lassen. So kommt regelmäßig eine Mutter mit ihrem Baby vorbei, die Kinder schauen ihnen zu und müssen sich vorstellen, wie sich Baby und Mutter wohl in bestimmten Situationen fühlen mögen.

Am Helden-Stammtisch im Erdgeschoss sitzen sie wie zu Arthus’ Tafelrunde beisammen, Einzelgespräche werden im „Hexenhäuschen“ im Garten geführt – draußen geht’s auch körperlich zur Sache, wenn Kinder auf der „Bewegungs-Baustelle“ ohne Hammer und Nägel etwas bauen. „Wir wollen so auch vorbeugend wirken“, erläutert die Traumatherapeutin, damit die seelische Not nicht in Gewaltausbrüchen entgleist.

Von Novizen zum Ritter 

Ihre Fortschritte vom „Novizen“ zum „Heldenritter“ dokumentieren die Kinder auf einem großen Wand-Schaubild, die eine Ritterburg zeigt. Am Anfang steht die Frage „Lässt du dich darauf ein?“, am Ende das Abenteuer „Alltag“: Passt meine Rüstung? Und dazwischen? Finden sie heraus, was sie können und was noch nicht so gut.

Auch die leiblichen Eltern und Pflegeeltern treffen sich am runden Tisch – „sie bleiben in ihrer Situation nicht allein, auch das ist wichtig“, sagt Bierod. Wenn etwa der gewalttätige Vater keine Ruhe gibt.

Jugendhilfe finanziert die Einrichtung

Vor sechseinhalb Jahren traten die „Burgbewohner“ die Arbeit an: Bierod ist von Anfang an dabei gewesen. Entwickelt hat den Ansatz jedoch der Pädagoge und Kinderpsychotherapeut Michael May. Die Jugendhilfe finanziert die Einrichtung: Fünf Pädagogen und ein Therapeut kümmern sich um derzeit 14 Kinder, die nach der Schule oder dem Kindergarten Hausaufgaben machen, spielen und Therapiestunden besuchen. Die Anmeldezahlen sind jedoch weitaus höher. Eine Warteliste wie in Therapiepraxen gibt es aber nicht. „Wir entscheiden, in welchen Fällen es besonders dringend ist“, so Bierod. Viele Kinder sind für 21 Monate hier, es gibt aber auch Fälle, die länger dauern.

Reicht die Finanzierung denn dafür aus? „Mehr wäre natürlich schön“, sagt Bierod diplomatisch, „aber das Jugendamt macht einen guten Job.“ Im vergangenen Jahr gründeten die Mitarbeiter dennoch einen Verein, der mit Spendenmitteln Familien unterstützt, die sonst keine Hilfe erfahren: Ausflüge, Turnschuhe, Schultornister – was eben gebraucht wird.