Oberhausen. . Wie eine Trutzburg erscheint die ummauerte Lutherkirche. Doch der Eindruck täuscht.Im Inneren des Gotteshauses wartet entspannte Herzlichkeit. Außer Gebeten gibt es auch Musik, Theater und Kunst.Mit diesem Gotteshaus startet unsere neue zehnteilige Sommer-Serie „Rund um die Kirche“.
Die Vögel zwitschern, der Himmel ist ausnahmsweise blau in diesen trüben Frühsommertagen und das Sonnenlicht lässt die Kronen der vielen Bäume rund um die evangelische Luther-Kirchengemeinde in sattem grün erleuchten. Auf der anderen Straßenseite versammeln sich lärmend ein paar Schüler des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums. Ansonsten ist es ruhig rund um das markante rote Backsteingebäude an der Lipperheidstraße 55. Ein paar Leute, die ihre Hunde ausführen, kommen vorbei. Radler grüßen Passanten. Die Alteingesessenen im Marienviertel kennen einander.
Offen, freundlich, unprätentiös
Seit 15 Jahren ist auch Ulrike Burkardt hier heimisch, so lange schon ist die 48-Jährige Pfarrerin der Luther-Kirchengemeinde, die aus zwei Bezirken (Lutherkirche/Bermensfeld) besteht und zur Zeit 4880 Mitglieder zählt. Ihre Idee einer lebendigen Kirche: Sie muss nicht nur ein Gottes-, sondern vor allem ein Gemeindehaus sein. Und so gibt sie sich selbst genau so wie auch das Innere des 1899 eingeweihten Gebäudes auf Besucher wirkt: offen, freundlich und unprätentiös.
Aus der Historie der Lutherkirche
Januar 1898: Erster Spatenstich.
April 1898: Feier der Grundsteinlegung
März 1899: Einweihung. 1050 Sitzplätze, Firsthöhe von 29 Metern, Turmhöhe von 58 Metern, 1538 Orgelpfeifen.
1943-1944: Die Kirche wird durch schwere Bombenangriffe zum großen Teil zerstört.
März 1952: Die neue Orgel wird in einer Bauzeit von 18 Monaten vollendet. Kosten: 20 000 DM.
Juli 1981: Die mittlere Gussstahlglocke zerspringt. Seitdem wird mit nur zwei Glocken geläutet.
Ein ungewöhnliches Schild fällt ins Auge, wenn man sich der Kirche nähert. „Respekt! Kein Platz für Rassismus“, steht darauf. Es ist gut sichtbar angeschraubt für jeden, der das Tor durchschreitet und das Gelände betritt. Die Mauer rund um die Kirche, sie verleiht ihr von außen etwas Abgeschirmtes; begibt man sich jedoch ins Innere des Kirchhofs, dessen schöner, alter Baumbestand ebenfalls unter dem Orkan „Ela“ gelitten hat, so fühlt man sich auf sonderbare Weise beschützt und geborgen.
„Unsere Mauer ist leider marode“, sagt Ulrike Burkardt beim Spaziergang im Kirchgarten. Einst hätten die Steine genauso rot geleuchtet wie die des Gotteshauses, das lange Zeit als „Rote Kirche in der Heid“ bekannt gewesen ist. Die Arbeiten an dem ebenso wie die Kirche denkmalgeschützten Schmuckstück konnten nun endlich beginnen. Die Sanierung, die auch den Zaun betrifft, ist auf drei Jahre angelegt und soll 2017, wenn die Evangelen das 500-jährige Reformationsjubiläum feiern, abgeschlossen sein.
Die Lutherkirche in Oberhausen
Der neue Glanz wird teuer: 90 000 Euro kosten die Arbeiten, deren Ergebnis schon jetzt an einer Säule am Eingangstor zu bestaunen ist – ein riesiger Unterschied zwischen vorher und nachher. So wird zurzeit kräftig geworben um kleine und große Spenden. Es gibt Benefizkonzerte und ein Spendenkonto. Motto: „Rettet die Kirchenmauer!“
Lauschige Plätzchen mitten im Grünen
Wer weiter um die Kirche herumgeht, kann noch mehr entdecken: lauschige Plätzchen mitten im Grünen, die rege genutzt werden. „Hier ist jeden Freitag in den Sommerferien ab 19 Uhr ein offener Treff, bei dem auch gegrillt wird“, sagt Burkardt, die gerne vorbeikommt, wenn Gemeindemitglieder und Nachbarn sich treffen. Dass hier Picknickdecken ausgebreitet werden und Kinder spielen, als sei es ihr eigener Garten, ist ganz in ihrem Sinne. Im Sinne eines offenen Hauses. Bloß nicht abgehoben und weltfremd erscheinen, das scheint ihr Credo zu sein.
Ein paar Schritte weiter zeigt die Pastorin ein ganz besonderes Stück: das alte Taufbecken, das bis 1995 im Inneren der Kirche zum Einsatz kam. „Jetzt gibt es einmal im Jahr draußen einen Taufgottesdienst“, sagt Burkardt, ein klein wenig stolz. Unnötig zu erwähnen, dass die Open-Air-Taufe ein Renner ist.
Das neue Taufbecken mag nicht besonders schön sein und auch nicht historisch, bringt aber eine Besonderheit mit sich, die es mit Altar und Kanzel teilt: Es ist mobil und kann jederzeit weggerollt werden. „So sind wir flexibel bei Konzerten und Theateraufführungen“, sagt Burkardt. Eine Kirchenfrau, die das echte Leben nicht vergessen hat. Vielleicht fühlt man sich deshalb so wohl hier, hinter den roten Backsteinmauern der Lutherkirche.
Mit Streichorchester, Marimbagruppe, und Ausstellungen gegen Kirchenmüdigkeit
Bei allen Bemühungen, das Gotteshaus zu einem offenen Treffpunkt zu machen, mit „niederschwelligen Angeboten“, wie Ulrike Burkardt sie nennt, ist auch die Lutherkirche vom Schwund der Gläubigen betroffen. „Die Gottesdienste sind nicht wahnsinnig besucht“, sagt die Pastorin, die aber all die Ehrenamtler lobt, die sporadisch oder regelmäßig vollen Einsatz zeigen. „Sie machen die Gemeinde lebendig und bunt.“
Chor, Streichorchester, Marimbagruppe – oft ist Leben in der Bude, hinzu kommt der Jugendmitarbeiterkreis, dessen Mitglieder inzwischen Studenten sind und trotzdem weitermachen. Sie organisieren Freizeiten und Bibelwochen und dürfen zu Weihnachten eine eigene Version der Geschichte von Jesu Geburt auf die Bühne bringen.
„Durch Angebote, die nicht ganz so klerikal sind, versuchen wir besonders, junge Leute zu erreichen. Leute, die nicht so viel mit Kirche am Hut haben“, sagt Burkardt, die auch regelmäßig Künstler für Ausstellungen einlädt.
Wie fern auch manchen Menschen die Kirchen geworden sind, Ulrike Burkardt spürt immer wieder, dass eine Verbundenheit da ist. In einer Umfrage hätten viele die offene Atmosphäre der Gemeinde gelobt. Und die Pastorin weiß für ihre Institution zu werben: „In der Kirche kommen Jugendliche zusammen, die sonst nirgendwo zusammenkommen würden. Und: „Hier wird nicht geguckt, was ich kann. Hier kann ich einfach sein.“
Sie glaube schon, dass der moderne Mensch ein Bedürfnis nach Glauben verspüre, sagt Burkardt. Dass er daran glaube, „dass da vielleicht mehr ist, als man mit den Augen sehen kann“. Hier müsse die Kirche in Bewegung bleiben: „Wir müssen überprüfen, ob die Menschen uns noch verstehen. Ob das, was wir sagen, noch wichtig ist für sie.“ Das, sagt Burkardt, sei „eine Lebensaufgabe“.