Oberhausen.. Wenn Jugendliche Tag und Nacht am Rechner sitzen, um leidenschaftlich PC-Rollenspiele zu spielen, machen sich Eltern oft Sorgen. Denn wenn darüber hinaus soziale Kontakte vernachlässigt werden, liegen Anzeichen einer Computerspielsucht vor. Im Suchthilfezentrum Nikolausburg gibt es Rat und Hilfe.
An einen Fall erinnert sich Franz-Josef Werner gut: an einen 19-jährigen jungen Mann, computerspielsüchtig, arbeitslos, Hartz-IV-Empfänger. „Er hat 14 bis 17 Stunden pro Tag vor dem PC gesessen“, sagt der Leiter des Suchthilfezentrums Nikolausburg. Die Duisburger Einrichtung ist eine Anlaufstelle für Oberhausener, die Hilfe in Sachen Computerspielsucht suchen. Die Suchtberatung von Caritas und Diakonie an der Mülheimer Straße hilft Menschen bei Alkohol- und Tablettenmissbrauch, nicht aber, wenn man es nicht mehr schafft, den Computer auszuschalten.
Der Alltag ist völlig ausgeblendet
Der 19-Jährige lebte in seiner Spielewelt. Er spielte im Team mit anderen und hatte eine bestimmte Rolle. Wäre er ausgestiegen, hätte er die anderen im Stich gelassen. „Computerspielsucht fängt an, wenn bestimmte Probleme auftauchen“, sagt Franz-Josef Werner. „Soziale Kontakte werden vernachlässigt, man vereinsamt. Auch Panik-Attacken können auftreten.“ Der Betroffene traut sich nicht mehr aus dem Haus, öffnet keine offiziellen Briefe mehr. Der normale Alltag – Essen, Waschen, Einkaufen – ist völlig ausgeblendet.
„Jugendliche tauchen frühestens mit 17, 18 oder 19 Jahren bei uns in der Sprechstunde auf“, hat Franz-Josef Werner festgestellt. „Vorher haben sie noch kein Problembewusstsein. Man muss sich ja erst einmal bewusst entscheiden, dass man Hilfe in Anspruch nehmen will.“ Oft sind es Eltern, die verzweifelt im Suchthilfezentrum um Rat fragen. „Die Angehörigen leiden, ohne eine Perspektive der Hilfe zu haben“, so Werner.
Selbstvorwürfe zermürben das Familienklima
Wenn der Sohn nächtelang durchspielt, nichts Vernünftiges mehr isst und sich kaum richtig wäscht, schrillen bei Müttern und Vätern die Alarmglocken. Fragen wie „Was soll nur aus meinem Kind werden?“ und Selbstvorwürfe zermürben das Familienklima.
Im Suchthilfezentrum Nikolausburg kümmern sich Psychologen und Sozialpädagogen mit suchtspezifischer Zusatzausbildung um die PC-Abhängigen. Rund 100 Klienten zählt die Einrichtung pro Jahr im Bereich Spielsucht, Computerspielsucht ist dabei nur ein Teilbereich. Ohne Selbsterkenntnis erzielen die Betroffenen keine Fortschritte. „Der Süchtige muss seine Sucht annehmen“, sagt Franz-Josef Werner.
Im Fall des 19-Jährigen ging es in kleinen Schritten los. Er bekam den Auftrag, jeden Morgen aufzustehen, zum Bäcker zu laufen und sich zwei Brötchen und eine Zeitung zu kaufen. Und sich dabei die Frage zu stellen: Wie ist das Wetter eigentlich? Ist es windig? Scheint die Sonne? Ein langsamer Weg zurück in die Alltagswirklichkeit.
Ärgerlich wird der Leiter des Suchthilfezentrums, wenn es um die Kostenfrage geht. „Es gibt noch keinen adäquaten Kostenträger. Spielsucht ist als Sucht anerkannt, Computerspielsucht hingegen nicht.“ Insofern stellt sich nach der Erstberatung immer die Frage: Wie geht es weiter? Findet man einen Psychotherapeuten, der kurzfristig Termine frei hat? Zahlt die Krankenkasse die Therapie?
Der Anteil der männlichen PC-Abhängigen liegt im Suchthilfezentrum Nikolausburg bei über 90 Prozent. Computerrollenspiele faszinieren Jungen eher als Mädchen. Deren häufig exzessives Smartphone-Nutzungsverhalten gibt Franz-Josef Werner allerdings auch zu denken. „Da gibt es kaum Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen.“
Die Schule wird zweitrangig
Der Diplom-Pädagoge rät Eltern von computerspielbegeisterten Jugendlichen, auf bestimmte Symptome zu achten. Alarmzeichen können sein, wenn soziale Kontakte vernachlässigt werden oder die Schule zweitrangig wird.
Der Fall des 19-Jährigen ist im Übrigen gut ausgegangen. Der junge Mann hat seine Computerspielsucht überwunden und einen Job als Baggerführer bekommen.