Oberhausen. Die 17-jährige Kübra Candemir aus Oberhausen wird vermisst. Seit fast zwei Wochen wird die Jugendliche polizeilich gesucht. Doch wie konnte das Mädchen, das in Obhut des Jugendamtes war, einfach verschwinden? Die Eltern sind in größter Sorge - und machen den Behörden Vorwürfe.

Schon fast zwei Wochen verbringt dass Ehepaar Tülay und Ömer Candemir in quälender Ungewissheit: Am 1. Dezember ist Kübra, die 17-jährige Tochter der beiden, aus einem Heim ausgerissen, in dem sie – zu ihrem eigenen Schutz – im Auftrag des Jugendamtes untergebracht war. Jetzt gilt das Mädchen offiziell als vermisst.

Seine Eltern fühlen sich von Jugendamt und Polizei im Stich gelassen. Sie haben inzwischen eine Familienanwältin eingeschaltet, um klären zu lassen, wie es zu dem Verschwinden des Mädchens kommen konnte, während es unter dem Schutz des Jugendamtes stand.

Ehrgeizige Schülerin

Zur Vorgeschichte erzählen die Eltern: Im September wurde die Familie von der Schule informiert, dass Kübra seit mehr als einer Woche nicht mehr zum Unterricht erschienen war – obwohl sie die elterliche Wohnung täglich zu den üblichen Schulzeiten verlassen hatte.

Wie die Eltern dann über einen Blick in die Internet-Aktivitäten der Jugendlichen herausfanden, soll ihre Tochter – bis dato eine gute und ehrgeizige Schülerin, die an einem Berufskolleg gleichzeitig ihr Abi bauen und eine Ausbildung zu Modedesignerin machen wollte – da schon einige Zeit eine Beziehung zu einem jungen Mann aus „schwierigem Umfeld“ unterhalten haben. Dieser sei bereits durch extremistische, insbesondere salafistische Hintergründe sowie Kontakte zum Rockermilieu auffällig geworden.

Salafistische Schriften gefunden

Als sie dann auch noch salafistische Schriften bei ihrer Tochter gefunden haben, hätten sie sich nicht anders zu helfen gewusst, als der Tochter den Kontakt zu dem Mann zu verbieten und ein Ausgehverbot zu verhängen. Daraufhin habe sich Kübra an die Polizei gewandt und dort ausgesagt, sie werde durch ihre Eltern bedroht und ihrer Freiheit beraubt. Die Polizei habe das Mädchen dann aus der Wohnung geholt und bis zur Klärung des Sachverhalts in die Obhut des Jugendamts gegeben.

Wenige Tage später habe es in den Räumlichkeiten des Integrationsrats ein Krisengespräch gegeben – mit Eltern, Jugendamt und Polizei. Dabei haben die Eltern eingewilligt, Kübra in die Obhut des Jugendamts zu geben, damit sie vorübergehend an einem entfernteren Ort in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht werden konnte – vor allem, um so den Kontakt zu ihrem Freund zu verhindern

Schutzvorrichtungen haben versagt

Vereinbart worden sei, dass es keinerlei Kontakt geben soll – nicht per Handy oder Internet und schon gar nicht persönlich. Dann aber hätten „sämtliche Schutzvorrichtungen versagt“, erklärt die Familienanwältin in einem Schreiben ans Jugendamt, in dem sie die Stadt bis zum heutigen Datum zu einer Stellungnahme auffordert.

„Irgendwann haben wir selbst festgestellt, dass Kübra weiter über Facebook Kontakt zu dem jungen Mann hat“, erzählt Tülay Candemir. „Es gab sogar Fotos, auf denen man erkennen konnte, dass sie sich mit ihm getroffen hat“, sagt sie. Seit vorletztem Sonntag, dem 1. Dezember, ist Kübra untergetaucht. Sie hat einen kurzen Brief im Heim zurückgelassen und seither nichts mehr von sich hören lassen, weshalb sich Tülay und Ömer Candemir größte Sorgen um ihre Tochter machen.

Jugendamt räumt Fehler ein

Dem Jugendamt werfen die Eltern vor, sie die ganzen gut zwei Monate, in denen Kübra in dem Heim war, nie ausreichend informiert zu haben und während der ganzen Zeit der Unterbringung keine geeigneten Maßnahmen getroffen zu haben, um dem Mädchen psychologische Hilfe angedeihen zu lassen. „Auch ist es mir nicht erklärlich, dass Kübra (...) so ohne Weiteres aus der Einrichtung verschwinden konnte“, heißt es im Schreiben der Anwältin für Familienrecht.

„Da sind im Rahmen der Sachbearbeitung durchaus Fehler passiert“, räumt Björn Ladeur vom Jugendamt ein. Vor allem sei offenbar versäumt worden, einen eindeutigen Arbeitsauftrag an die Einrichtung zu erteilen, um durch einen Jugendpsychologen die Frage klären zu lassen, ob es um blinde Verliebtheit einer 17-Jährigen gehe, oder ob das Mädchen manipuliert wird.

Keine geschlossene Einrichtung

Dass Kübra dort in einem öffentlich zugänglichen Jugendzentrum Kontakt zu ihrem Freund gepflegt habe, habe man leider nicht unterbinden können – letztlich auch nicht ihre Flucht: „Es ist ja keine geschlossene Einrichtung. Geschlossen unterbringen können wir nur dann, wenn der Jugendliche sich oder andere an Leib und Leben gefährdet.“