Ein Universum im Kleinformat passt in ein Hinterzimmer. Gabriele Gerard (49) hat diesen physikalischen Beweis erbracht.

Langjährige Erfahrung hat sie zudem gelehrt: „An Miniaturen gibt es nichts, was es nicht gibt.” Und wer „Das Puppenhaus” am Bahnhof betritt und dann noch in eben erwähntem Zimmer landet, dem stockt mit ebenso großer Gewissheit der Atem. „Viele Leute haben sich schon gewünscht, hier mal über Nacht eingeschlossen zu werden”, erzählt Gerard. Denn dann könnten sie schauen und schauen, auf eine Entdeckungsreise gehen in die Welt der Puppenstuben von 1890 bis in die 70er Jahre.

Hinter Glas stehen hier Schätze im Wert eines kleinen Ferienhauses. „Meine Rente ist das”, sagt die 49-Jährige. Puppenstuben zu sammeln sei wie Feuer legen, resümiert sie. Bei den meisten Sammlern entwickelt sich die Liebe zum Detail zum reinsten Flächenbrand. Nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht” geht hier gar nichts. Authentizität ist das oberste Gebot. Sprich, in eine Jugendstilküche kommt auch nur Jugendstil rein.

So hat Gabriele Gerard in liebevoller Klein- bis Kleinstarbeit ihre guten Stuben zusammengestellt. Hat Schränkchen, Tellerchen, Mini-Tassen, ja sogar Kartenspiele in England, Frankreich oder den USA aufgestöbert, um Bilder des Lebens von anno dazumal originalgetreu nachzuzeichnen. Ihr ältestes Stück ist ein Kaufladen von 1890 mit handgemalten Bildchen. Gerard: „Früher gab es noch viel Handarbeit, weil die Sachen nicht in Massen hergestellt wurden.” Der Kaufladen wurde in Deutschland gefertigt, von einem französischen Vater für seine Tochter gekauft und im Nachbarland beschriftet.

Eines der Lieblingsstücke der Geschäftsfrau ist ein Gottschalkhaus, etwa von 1905. „Die Fassade ist zu öffnen, von innen ist es eingerichtet”, schwärmt Gerard und erzählt, dass es von diesen Häusern ganze Straßenzüge gebe. Eher keine Puppenstube ist der Zeremonienschrein aus Asien. „So etwas bekommen Mädchen oder Jungen in Japan zu bestimmten Anlässen geschenkt”, sagt Gerard. Und diese Rarität, eine Kirche aus den 30er, 40er Jahren, ist gar nichts für Kinder. Die dürfte eher ein Geschenkt für einen Pfarrer zu einem Jubiläum gewesen sein. Und dieser niedliche kleine Koffer mit Püppchen samt Garderobe für die Puppe plus Zubehör wie Kämmen und Bürsten wurde früher Mädchen reicher Eltern als Reisespielzeug geschenkt. „Ich habe dafür 800 Euro bezahlt, aber der Koffer ist mehr wert”, schätzt Gerard. So eine niedliche antike Küche von 1905 verschlingt sogar ganz schnell mal 2000 Euro. Allein dieses eine, winzige rote Teedöschen kostet ja schon 75 Euro.

Ach, es gibt so viel zu entdecken in diesen Welten. Einen Bauernhof mit Tieren, eine Tankstelle, einen Foxterrier in einer Jugendstilküche hier, ein Haus im Stil der 40er, 50er Jahre mit Korbgeflechtkinderwagen und Gummibaum dort. Und dann in diesem Badezimmer von 1910 das Paar Mini-Mini-Nylonstrümpfe, das einem echt den Atem verschlägt.

Was sind das für Menschen, die Puppenstuben sammeln? „Freaks”, gibt Gerard umumwunden zu. „Süchtige.” Und nein, es sind nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die den Miniaturen verfallen. Eint die Geschlechter auch die Sammelleidenschaft, führt die Motivation wieder zu einer rigorosen Trennung. „Frauen schätzen an den Puppenstuben die schöne, heile, kontrollierbare Welt”, weiß die Expertin, „den Männern geht es beim Sammeln eher darum, Geld anzulegen.”