„Die Europäer haben die Uhr, die Afrikaner die Zeit.“ Wie wahr dieser Satz ist, ja, was er überhaupt bedeutet, das weiß Albert Karschti seit seiner Rückkehr aus Ruanda nur zu gut. Sechs Wochen lang war der pensionierte Bergbau-Ingenieur, Mitglied der Bezirksvertretung Alt-Oberhausen und Pirat, in dem ostafrikanischen Land. Er half als Senior-Experte beim Aufbau moderner Bergwerke. Ein Aufenthalt, der starken Eindruck hinterlassen hat.

ZukunftsorientierteEntwicklungshilfe

Als die Anfrage aus Bonn kam, dem Sitz des Senior-Experten-Service, der Stiftung der deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit, da hatte Albert Karschti zunächst einmal Bedenken. Alles, was er über Ruanda wusste, wirkte nicht gerade einladend: „Aids, Genozid, Gefahr. Irgendwie hörte sich alles nach Problemen an.“ Doch sein Wissenshunger siegte, auch sein Wunsch, die Zustände in dieser Welt mit dem eigenen Zutun zu verändern. „Eine Art zukunftsorientierte Entwicklungshilfe“, so beschreibt der 59-Jährige die Arbeit, die er in Ruanda ehrenamtlich geleistet hat.

Die Menschen dort zu stärken, war für ihn mindestens genauso wichtig wie ihre miserablen Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Wie schwierig es werden würde, von außen helfend und verändernd einzugreifen, das sollte Karschti gleich zu Beginn seines Besuchs in Nyamata, einer Stadt südöstlich der Hauptstadt Kigali, zu spüren bekommen. Er schenkte einem Jungen tausend Ruanda-Francs, etwas mehr als einen Euro. Eine Menge Geld, wenn man bedenkt, dass ein Bergarbeiter auf einen Lohn von drei bis vier Euro kommt. Das Resultat: Der Junge durfte mehrere Tage nicht in die Nähe des Deutschen kommen. „Ich habe ihn in seinem sozialen Gefüge geschwächt“, sagt Karschti. „Das war ein Riesenfehler.“ Der Junge hatte plötzlich mehr Geld als die Älteren, die Rangordnung stand Kopf. Karschti lernte daraus – und fand einen besseren Weg, den Jungen zu unterstützen: „Ich habe einem Studenten Geld gegeben, damit er ihm das Lesen und Schreiben beibringt.“

Nicht die große Armut oder die lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen in den Bergwerken seien schockierend gewesen für Karschti. Nicht die Kinderarbeit oder die Lehmhütten, die beim nächsten Regen hinwegzuspülen drohten, sondern: „Dass die Menschen trotz alledem so fröhlich und offen sind.“

Einem Leben wie im Mittelalter sei Karschti in Ruanda begegnet. Mit Menschen, die ihr Wasser aus Brunnen holen, die 15 Kinder haben und kein anderes Transportmittel als ein Fahrrad. Er hat Hunger gesehen und Schmutz, und Sträflinge, die durch die Stadt geführt und als Tagelöhner angeboten werden. Was er auch erlebt hat: ein riesiges Interesse an Technik und Kommunikation („Manche haben sogar zwei Handys“), starkes Gemeinschaftsgefühl, einen tiefen Glauben, Spiele, Musik und Tanz – und das vom frühen Morgen an: „Die Menschen leben im Rhythmus der Natur. Um fünf Uhr geht es schon los, da pulsiert das Leben. Mit Ausschlafen war da nix.“

Den bewegendsten Moment jedoch erlebte der Oberhausener beim Besuch der Gedenkstätte für den Völkermord an den Tutsi. 1994 hatten Angehörige der Hutu eine Million Menschen massakriert. Ein Friedensprojekt bringt Opfer und Täter zusammen. So stand eine Tutsi-Frau jenem Mann gegenüber, der ihr den Arm abgehackt hatte. Kein Hass, kein Zorn. „Das war unglaublich“, sagt Karschti.

Er will auf jeden Fall wieder nach Afrika reisen, mehr erfahren über die Menschen dort – und von ihnen lernen.