Oberhausen. Die neue Fraktionschefin der Grünen, Regina Wittmann, verteidigt im WAZ-Gespräch das Veto ihrer Partei gegen bestimmte Gewerbeansiedlungen. Ja zur neuen Straßenbahn.

Regina Wittmann hat ihre Wurzeln in den Niederlanden, wo ihre Mutter herkommt. Geboren wurde die Grünen-Ratsfrau aber in Sterkrade, wo sie auch heute wieder lebt. Aufgewachsen ist die 43-Jährige in Dinslaken. Ihr Architekturstudium führte sie nach Berlin und Delft in Südholland.

Seit sieben Jahren kümmert sich Regina Wittmann an der Fakultät für Architektur und Bauingenieurswesen der Universität Dortmund um das Architekturarchiv. Dort werden Originalpläne konserviert, unter anderem auch der Bestand der Gutehoffnungshütte.

Seit sie 2005 zurück nach Oberhausen kam, engagiert sich Regina Wittmann auch politisch in der Stadt. Als parteiloses Bürgermitglied ist sie in die Fraktion der Grünen gekommen, wurde schnell stellvertretende Sprecherin im Planungsausschuss. Mitglied der Partei ist sie seit sechs Jahren, 2009 rückte sie über einen Listenplatz in den Rat der Stadt. 2012 folgte sie auf Volker Wilke als Fraktionssprecherin der Grünen.

Welche Bilanz ziehen Sie nach sieben Monaten als Fraktionssprecherin?

In dieser Zeit haben wir zwei Haushalte verabschiedet, das war ein großes Stück Arbeit. Peter Plew und ich mussten uns in sehr kurzer Zeit in sehr komplexe Themen einarbeiten. Wir haben mit Michaela Flötgen und Ertekin Aksünger zwei neue Mitglieder in der Fraktion. Gemeinsam haben wir eine gute Arbeitsstruktur gefunden, mit der wir uns auch der großen Aufgabe des Stärkungspakts stellen konnten.

Das Land will nun 13 Millionen Euro der Stärkungspakt-Hilfen kürzen. Klagen die Grünen gegen die eigene rot-grüne Landesregierung?

Rot-Grün hat beschlossen, in letzter Instanz auch zu klagen. Wir haben von Anfang an klar gesagt, dass die Neuberechnungen des Stärkungspakts mit den für Oberhausen einhergehenden Zuschuss-Kürzungen nicht tragbar sind.

Sind Sie enttäuscht von der rot-grünen Landesregierung?

Nein, natürlich nicht, aber bei den Kommunalfinanzen haben wir unterschiedliche Positionen. Man muss sehen, dass der Stärkungspakt erst einmal ein richtiger Schritt war. Der Zehn-Jahres-Zeitraum des Paktes gibt uns erstmals wieder die Chance, wichtige, langfristig angelegte Prozesse anzustoßen.

Gewerbeansiedlung und ÖPNV in Oberhausen 

Warum wollen die Grünen die Ansiedlung von Gewerbe verhindern?

Tun wir das?

Beim Waldteichgelände sind die Grünen doch gegen die Ansiedlung eines Rohr-Logistikcenters von Thyssen-Krupp.

Gewerbe ist nicht Gewerbe. Wir brauchen passende Lösungen für ganz Oberhausen.

Die Ansiedlung eines Weltunternehmens wäre nicht langfristig?

In diesem Gebiet herrscht etwa eine problematische Verkehrssituation, wir brauchen Gutachten über die Belastung von Anwohnern, Umgebung und Natur. Die Stadt muss sich fragen, was eher extensive Flächennutzungen bringen und welche Gewerbemischung sinnvoll ist.

Kann Oberhausen so beliebig wählen, bei den hohen steuerlichen Belastungen, die die Stadt Unternehmen aufbürdet?

Als Stadt hat man immer die Wahl. Planungen brauchen Zeit, die muss man sich nehmen. Da werden wir von Investoren und Interessenten oft unnötig unter Druck gesetzt.

Auf Zeit spielen die Grünen am Alsbachtal. Oberhausen könnte weiter wachsen, doch Sie verhindern eine neue Siedlung im zuzugskräftigen Norden. Warum?

Abgesehen von den besonderen Freiraumqualitäten im Norden, die es zu schützen gilt: Das Wohnungsbaugutachten hat gezeigt, dass im Norden ein Überhang an Wohnungen besteht. Der Bedarf ist vor allem in Alt-Oberhausen und in Osterfeld. Das ist die eigentliche Baustelle.

Eine weitere ist der ÖPNV. Wieso wollen Sie Millionen für eine neue Straßenbahnlinie ausgeben?

Derzeit ist Oberhausen nur über Mülheim an den Essener Hbf angeschlossen. Die Linie 105 würde eine wichtige Lücke im regionalen ÖPNV-Netz schließen.

Für 77 Millionen Euro bei Gesamtschulden von 1,8 Milliarden Euro – privat kauft man sich doch kein Auto, wenn es nur fürs Fahrrad reicht.

Wir investieren erst in Planungskosten und lassen das Projekt noch einmal wirtschaftlich überprüfen. Die eigentliche Maßnahme greift erst 2019, dann haben wir einen ausgeglichen Haushalt. Für uns Grüne ist ein funktionierender Nahverkehr sehr wichtig und schienengebundener Verkehr – auch aus ökologischer Sicht – ist eine wichtige Komponente. Warum wird eine Straße nicht so sehr hinterfragt?

Weil die Grünen einerseits massive Kürzungen im Busnetz durchgewinkt haben, anderseits eine Straßenbahn befürworten, die vor allem dem Centro zugute kommen wird.

Die Straßenbahn erschließt nicht nur das Centro, Alt-Oberhausen und Sterkrade werden durch die 105 angeschlossen. Es geht ja nicht um den Shoppingverkehr, sondern auch um Berufspendler. Hier wird ein wichtiges Stück Infrastruktur geschaffen, das bleibt. Damit investieren wir in die Zukunft Oberhausens. Die Kürzungen im ÖPNV-Netz sehen wir mit einem weinenden Auge, dies aber vor dem Hintergrund der Möglichkeiten, die uns die jetzigen Sparanstrengungen langfristig ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sind Kürzungen auch umkehrbar.

Keine Option auf Koalition mit der CDU 

Vor 30 Jahren haben die Grünen aus Protest Erde aufs Rednerpult im Rat geschüttet. Seit 2009 nun regieren die Grünen mit und es wird immer stiller um Ihre Partei. Wo bleibt Ihr Kampfeswille?

Wir müssen sicher daran arbeiten, dass wir die Ergebnisse unserer Arbeit besser kommunizieren.

Beschäftigen sich die Grünen zu sehr mit Randthemen?

Es gibt auch kleine Dinge am Rande, die sehr wichtig sind, die eine Symbolkraft haben und an denen man sich auch ein Stück austestet. Ich finde es gut, wenn sich Leute an einer Idee festbeißen und diese dann umsetzen. Das sollte man nicht in Konkurrenz zu großen Dingen wie etwa dem Haushaltskonzept setzen.

Wäre es für Ihre Grünen hier nicht interessanter, mit der CDU zusammenzuarbeiten?

Die Frage stellt sich nicht. Wir haben einen Koalitionsvertrag mit der SPD, der viele grüne Ziele beinhaltet. Wir befinden uns auf einem guten Abarbeitungsstand. Wir haben gute Erfahrungen mit Rot-Grün gemacht und ein gutes Fundament geschaffen.

Vor drei Jahrzehnten haben es sich die Grünen zur Aufgabe gemacht, gegen die Verfilzung der SPD anzutreten. Haben Sie sich von den Sozialdemokraten einwickeln lassen?

Wir arbeiten projektbezogen, haben Ziele formuliert und einzeln vorangebracht, da sind wir gut unterwegs.

Blockiert Sie die SPD?

Es gibt keine Blockade. Wir arbeiten konstruktiv an Inhalten und Themen. Aber wir haben unterschiedliche Arbeitsweisen. Da gilt es Wege zu finden, wie man sich gut und schnell abstimmt.

Sollte OB Klaus Wehling schon 2014 gehen, wie diskutiert wird, um Wahlkampf-Kosten für sonst notwendige zwei Wahlen, 2014 für den Rat und 2015 für den OB, zu sparen?

Herr Wehling ist bis 2015 gewählt und diese Diskussion finde ich sehr unpassend. Wollen wir hier die Frage stellen, was Demokratie kosten darf?

Die Frage muss man stellen – etwa beim Jugendparlament. Woanders finden sich nicht einmal mehr Kandidaten.

Man kann Jugendlichen nicht den Raum zur politischen Beteiligung nehmen. Es herrscht doch ein Frust bei Bürgern, weil an vielen Stellen Raum für Beteiligung fehlt.

An den Spardiskussionen haben sich kaum Bürger beteiligt.

Da kommt ein Sparkonzept sicherlich anders an als etwa eine Beteiligung bei der Stadtentwicklung. Hier müssen wir Bürger besser mitnehmen.

Viele dieser Bürger sind enttäuscht von den Grünen. Welche Themen wollen Sie jetzt angehen, um Wähler wieder für Ihre Partei zu begeistern?

Ein Thema wird Lärm sein, bei dem wir Verbesserungen für Bürger erreichen wollen. Das Gleiche gilt für das Klimaschutzkonzept, bei dem es nun endlich an die Umsetzung geht – für Grüne ein Meilenstein. Wir setzen zudem auf die Quartiersentwicklung, um die lokale Identität zu stärken.

(Das Gespräch führten Stephanie Weltmann und Frank Helling.)