Die Summe übersteigt jegliches Vorstellungsvermögen: 20 Milliarden Euro an Rücklagen horten die gesetzlichen Krankenkassen – und trotzdem kostet ein Arztbesuch noch immer zehn Euro im Quartal. Nicht nur die Caritas fordert deshalb die Abschaffung der lästigen Praxisgebühr – auch Ärztevertreter und Krankenkassen halten sie längst für überflüssig. Doch es gibt auch andere Meinungen.
Zwischen Prämie und Prävention
„Die Praxisgebühr war uns schon immer ein Dorn im Auge. Das ist ja nicht unser Geld – wir sind nur die Eintreiber für die Krankenkassen“, kritisiert Ulrich Kröll, Arzt und Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Oberhausen. Eigentlich sollte die Gebühr Patienten ja von überflüssigen Arztbesuchen abhalten – in dieser Hinsicht habe sie aber „völlig versagt“. Wenig Sinn, lediglich ein Haufen Papierkram. „Und die Patienten denken: Da steckt sich der Doc wieder zehn Euro in die Tasche.“ Kröll sieht noch eine weitere Verwendung der Milliardenüberschüsse: „Wir würden es gerne sehen, wenn unsere Honorare angepasst würden. Die Versicherten sehen das aber natürlich völlig anders.“
Die Oberhausener Caritas hat anderes im Sinn. Schon lange fordert sie, die Praxisgebühr endlich abzuschaffen – doch aus anderem Grund: Sozial Schwach halte die 10 Euro Gebühr häufig von dringend nötigen Arztbesuchen ab. „Die Menschen verschleppen ihre Krankheiten. Und das kann ja nicht im Sinne der Krankenkassen sein. Zumal die Therapien später viel teurer sind“, so Caritassprecher Reinhard Messing. Patientengebühr, Medikamentenzuzahlungen, immer mehr Privatrezepte – krank zu werden, sei richtig teuer. Ärmeren Menschen solle durch die Überschüsse der Zugang zu Medikamenten und einer adäquaten Behandlung erleichtert werden – etwa über Bonussysteme oder Vergünstigungen. Und auch die Vorbeugung von Krankheiten sei ein wichtiger Punkt: „Alle reden von Prävention. Fitnessstudio, Vitaminpräparate, Naturheilstoffe – wer ein geregeltes Einkommen hat, kann sich das leisten. Die anderen nicht“, so Messing.
Bei der Prävention setzt auch Clemens Bremkes an: „Das System wird immer teurer – es gibt immer mehr Ältere und immer mehr Kranke“, so der stellvertretende Vorsitzende der Ärztekammer Nordrhein in Oberhausen. Krankheiten effizient vorzubeugen, zahle sich aus. Und auch in den Krankenhäusern gebe es einen riesigen Investitionsbedarf. Das Problem: „Die Medizin wird kommerzialisiert – es geht oft nicht mehr um die Interessen der Patienten.“
Die Techniker Krankenkasse plant nun, ihren Mitgliedern im kommenden Jahr Prämien von 80 Euro auszuschütten. Und unter Umständen sogar die Praxisgebühr zu erstatten – falls die Versicherten an vier Vorsorgemaßnahmen im Jahr teilnehmen. „Die Praxisgebühr ist nicht mehr notwendig – die Wirkung ist völlig verpufft“, urteilt Pressesprecher Christian Elpas.
Lediglich die AOK lehnt eine Abschaffung der Praxisgebühr ab – aus ökonomischen Gründen. „Das fehlende Geld müssten wir dann ja auf andere Weise beschaffen“, erklärt Hans-Werner Stratmann, AOK-Regionaldirektor in Oberhausen. Die Milliardenrücklagen sehe er als eine Art Sicherheitspolster, nach dem Prinzip: „Spare, wenn es dir gut geht, das hast du dann in Zeiten der Not.“ Von einer Prämienauszahlung hält Stratmann indes nichts: „Jetzt die Prämie, und nächstes Jahr dann wieder Zusatzbeiträge.“ Lieber solle man in langfristige Leistungen investieren – wie in lange Öffnungszeiten, Hilfe bei Facharztterminen oder eine Zweitmeinung.