Oberhausen. . Nach den jüngsten Berichten über getötete Kinder, warnt der Oberhausener Chefarzt Prof. Dr. Matthias Rothermundt vor Vorurteilen gegen psychisch Kranke. „Psychisch krank ist nicht gleich gewalttätig“, sagt der ärztliche Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Johanniter-Krankenhauses.

Ein Oberhausener tötet den Sohn seiner Freundin. Eine Essenerin bringt ihre Tochter und anschließend sich selbst um. Schlagzeilen, die unweigerlich die Frage nach dem Warum aufwerfen. Der Mann sei psychisch krank gewesen, heißt es. Die Mutter depressiv. Psychisch krank und depressiv – zwei kleine, an sich harmlose, in diesen besonderen Fällen jedoch heikle Adjektive. Sie suggerieren: Menschen, deren Psyche leidet, sind potenziell gefährlich. Stimmt das?

Tragische Folgen

Prof. Dr. Rothermundt, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Johanniter-Krankenhauses, beantwortet diese Frage mit einem entschiedenen Nein. Er befürchtet, dass solch vereinfachte Darstellungen zur weiteren Stigmatisierung psychisch kranker Menschen beitragen. Mit womöglich tragischen Folgen: „Kranke trauen sich nicht mehr, sich behandeln zu lassen, aus Angst, abgestempelt zu werden.“

Wahnhaft schizophren

„Psychisch krank ist nicht gleich gewalttätig“, stellt der Psychiater deshalb klar. Es gebe lediglich zwei Diagnosegruppen von Patienten, die eine höhere Gewaltbereitschaft aufweisen. Das seien einmal wahnhaft schizophrene Patienten. Oder Menschen, bei denen eine schwere Persönlichkeitsstörung mit einer Suchterkrankung einhergehe.

Zur ersten Gruppe sagt der Arzt: „Wahnsymptome kommen bei Psychosen vor.“ Im Fachjargon sei „Wahn eine unrichtige, nicht korrigierbare Annahme“. Konkret bedeute dies, dass jemand sich zum Beispiel vom Geheimdienst verfolgt fühlt. „Ein solcher Patient wird mir nicht glauben, dass das nicht so ist“, sagt Rothermundt.

„Bei schizophrenen Psychosen hören Patienten häufig Stimmen“ 

Er nennt unterschiedliche Krankheitsbilder von Psychosen, von denen eine die schizophrene ist. „Bei schizophrenen Psychosen hören Patienten häufig Stimmen“, weiß der Arzt. „Wenn jemand den Wahn hat, dass ein anderer Mensch vom Teufel besessen ist und die Stimmen ihm befehlen, etwas dagegen zu tun, kann es zu einem Tötungsdelikt kommen.“

Die andere Gruppe von Patienten, die zu Gewalt neige, seien Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen, wenn diese in Kombination mit einer schweren Suchterkrankung, einer Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen, auftreten. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen weichen in ihren Empfindungen, ihren Gefühlen und ihrem Verhalten deutlich von der Norm ab – und zwar in vielen Bereichen des Lebens.“

In dieser Patientengruppe gebe es solche, die alle gegen sich aufbringen, überall anecken. Und andere, die sich immer schlecht fühlen, die aber eher anderen Menschen oder gleich der Gesellschaft überhaupt die Schuld an ihrem vermeintlichen Unglück geben.

Geringeres Risiko

Doch selbst für diese beiden Gruppen gelte: „Es sind bei Weitem nicht alle Patienten mit Psychosen und Persönlichkeitsstörungen gewalttätig.“ Und das erhöhte Auftreten von Gewalt in dieser Gruppe lasse keinen Rückschluss auf den Einzelfall zu. „Alle anderen psychisch Kranken haben keine höhere, eher sogar eine niedrigere Kriminalitätsrate als Gesunde“, zitiert der Experte Studien. Gerade Depressive, Menschen mit Ängsten, Ess-Störungen oder Suchterkrankungen hätten ein eher geringes Risiko, kriminell zu werden.

Erweiterter Suizid

Da nun aber die Mutter, die ihre Tochter und sich selbst tötete, auch als depressiv geschildert wurde, geht der Arzt auf diesen Fall noch einmal ein, auch wenn er betont, mangels Informationen nur Mutmaßungen anstellen zu können. „Es gibt Formen des depressiven Wahns, bei denen Menschen einen erweiterten Suizid begehen, weil sie etwa glauben, ihr Kind schützen zu müssen“, sagt er.