Oberhausen. Gewalt gegen Rettungskräfte nimmt zu. Feuerwehrleute berichten von ihren Erfahrungen.

„Ich bring’ euch alle um, ihr Nazischweine.“ Solche Sätze bekommen Thomas Fiebich-Kobe und seine Kollegen von der Feuerwehr öfter mal zu hören. Dabei sind sie gekommen, um zu helfen – und werden beschimpft und beleidigt, bespuckt und getreten. Längst sind gewalttätige Übergriffe gegen Rettungskräfte kein Einzelfall mehr. Welche Dimensionen dieses Problem angenommen hat, zeigt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum: Verbale Gewalt haben demnach 98 Prozent der Rettungskräfte in Nordrhein-Westfalen schon einmal erlebt, aggressive Übergriffe haben 59 Prozent erfahren. Und jeder Vierte wurde bereits Opfer körperlicher, strafrechtlich relevanter Gewalt – allein in den vergangenen zwölf Monaten.

„Keine Hemmschwelle“

„Eine Hemmschwelle gibt es nicht mehr“, moniert Thomas Fiebich-Kobe. Wüste Bedrohungen und Beleidigungen seien an der Tagesordnung – „das gehört quasi zum Umgangston“. Gerade in den vergangenen drei Jahren habe die Aggressivität stark zugenommen. Warum, das können sich die Rettungskräfte auch nicht erklären. „Früher waren wir noch die Guten. Mittlerweile sind die Leute aggressiv, egal ob ein Polizist oder ein Sanitäter vor ihnen steht“, so Fiebich-Kobe.

In etwa jedem zehnten Einsatz würden die Oberhausener Rettungskräfte mit aggressivem Verhalten konfrontiert – Tendenz steigend. Da werden sie beim RWO-Spiel mit Pommes beworfen, vor der Turbinenhalle attackieren Besucher das Auto mit Pflastersteinen. Mit Raketen beschmissen zu werden, sei mittlerweile „Standard“, und auch Todesdrohungen gehören dazu. Was an der Situation so bizarr ist: „Wir sind doch die Helfenden! Und dann werden wir selbst zum Opfer“, beklagt Rainer Porsch, Leiter des Rettungsdienstes bei der Feuerwehr.

Angreifer oft betrunken

Körperliche, strafrechtlich relevante Gewalt sei hier in Oberhausen allerdings noch vergleichsweise selten – hier trägt bislang kein Helfer Stichschutzwesten wie manche Kollegen in Düsseldorf. Trotzdem gibt es Ex-tremfälle. Sebastian Smaniotto erzählt, wie er mit einem Patienten im Aufzug des Krankenhauses stand, und der ihn zuerst gegen die Schulter und dann mitten ins Gesicht trat. Zwar wurde Anzeige erstattet, doch das Verfahren wurde innerhalb weniger Wochen eingestellt – der Täter sei alkoholisiert gewesen, eine Bestrafung nicht im öffentlichen Interesse. „Aber doch in meinem Interesse“, sagt Smaniotto bitter.

Der Täter war ein typischer Fall: Laut Studie sind die aggressiven Patienten meist zwischen 20 und 39 Jahre alt, männlich und alkoholisiert. Auch hier in Oberhausen seien mehr als 80 Prozent der Krawallmacher berauscht, erzählt Rainer Porsch.

Oft kommen Berufshelfer in brenzlige Situationen, die schwer einzuschätzen sind. Wenn man gerufen wird, weil ein Betrunkener sich mit einem Bierglas den Arm aufgeschlitzt hat, und plötzlich zwanzig Männer auf einen zurennen – wie soll man da ahnen, dass sie letztlich nur den Verletzten einfangen wollen? „Das sind solche Szenarien, wo man kurzfristig sehr schnell handeln muss – da kann man sich nicht drauf vorbereiten“, sagt Feuerwehrmann Andreas Pott. In solchen Fällen helfe nur der gesunde Menschenverstand, Fingerspitzengefühl und Erfahrung.

Zwar gibt es bei der Oberhausener Feuerwehr schon seit einigen Jahren Seminare zur Deeskalation, die in die Ausbildung zum Rettungssanitäter oder zum Rettungsassistent integriert sind. „Wie gehe ich solchen Situationen aus dem Weg, wie entschärfe ich die Situation? Wir geben unseren Rettungskräften so viel wie möglich mit an die Hand“, erklärt Rainer Porsch. Doch bedauern viele der Rettungskräfte, dass man keine Abwehrtechniken trainiert. „Wir wollen nicht zum Schläger werden, aber ein paar Tricks und Kniffe zu beherrschen, um sich selbst zu verteidigen, das wäre schon gut“, glaubt Kai Schlagheck.

Medikamente aus Rettungswagen geklaut

Doch nicht nur viele Patienten reagieren aggressiv, generell erkennen die Rettungskräfte einen Respektverlust in der Bevölkerung. Etwa wenn Fußgänger provokant langsam über die Straße gehen, obwohl der Rettungswagen mit Blaulicht über die Straße muss. Wenn ihnen der eine einen Vogel zeigt, der nächste den Mittelfinger. Wenn nicht nur das Navigationsgerät, sondern auch Medikamente aus dem Rettungswagen geklaut werden. Oder wenn einem die vermeintlichen Patienten stecken, sie hätten nur angerufen, weil sie kein Geld für ein Taxi hätten. „Der Beruf ist ja eigentlich ein schöner – wenn da nicht die negativen Seiten wären“, bilanziert Fiebich-Kobe. Und: „Ehrenamtlich würde das hier keiner von uns machen.“

Beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), das in Oberhausen keinen Rettungsdienst fährt, aber bei großen Veranstaltungen im Einsatz ist, seien deshalb bisher aber noch keine ehrenamtlichen Helfer abtrünnig geworden, heißt es. 120 ehrenamtliche Helfer sind hier in Oberhausen im Einsatz, größere Übergriffe hat es in jüngster Zeit nicht gegeben. „Man wird aber schon mal weggeschubst und beleidigt, auch angespuckt. Der Respekt gegenüber Rettungskräften sinkt zunehmend“, erzählt Martin Götzke, Leiter Aktive Dienste beim DRK.

Auch die Polizei beklagt zunehmende Aggressivität. Schwindet die Autorität, oder sind die Beamten einfach sensibilisiert und melden Übergriffe eher? Denn was ein Beamter als Gewalt empfindet, ist höchst subjektiv. Eine weitere NRW-Studie soll jetzt Aufschluss über die Ausmaße der Gewalt gegen Beamte geben, im Herbst soll sie vorgestellt werden.