Oberhausen. .
„Musikhören heißt, die Spannungen in sich aufzubringen, die das Werk tragen.“ Dieser Satz des Musikwissenschaftlers Hans Mersmann gilt natürlich in noch stärkerem Maße für den ausübenden Künstler. Was das bedeutet, zeigten die Geigerin Liv und ihr Vater, der Pianist Marian Migdal, im dritten Konzert des Oberhausener Festivals rund um das Klavier in beispielhafter Weise.
Bachs Solosonate a-moll, als Einstieg nicht eigentlich besonders publikumswirksam, wurde zu einer eindringlichen, grübelnd suchenden, schließlich in vielfältig sich spiegelnde Räume führende Klangrede, immer leicht melancholisch verschattet. Mit gleicher Intensität zu Beginn des zweiten Teils Hindemiths Solosonate op. 31 „Es ist so schönes Wetter draußen“, dem Motto entsprechend naturlyrischer im Charakter, aber mit der gleichen Eindringlichkeit einer an Bach orientierten motivischen Rhetorik.
Die ganze Bandbreite ihrer gestalterischen Möglichkeiten zeigten Vater und Tochter Migdal im weiteren Verlauf des Programms. Die enormen inneren Spannungen in Schuberts „Rondo brillant“, verräterischer Weise in der „schwarzen“ Tonart h-moll, deckten sie rückhaltslos auf. In diesem ersten Duo zeigte sich, was sich auch später immer wieder bestätigte: Das Zusammenspiel war quasi symbiotisch bis in die Artikulation des Einzeltones hinein.
Wenn überhaupt möglich, erfuhr dieser Eindruck noch eine Steigerung in Debussys g-moll-Sonate. Wie die sich scheinbar von den technischen Voraussetzungen des Musizierens löste und zu einer Art magischen Psychogramms wurde, konnte erschüttern.
Schließlich verwandelte sich die immer freundlich lächelnde Liv in eine Art geigerischen Springteufel. Mit welcher sinnlich-durchtriebenen, gleichwohl ganz natürlich wirkenden Raffinesse sie Paganinis berühmte „Moses-Fantasie“ auf der G-Saite „hinlegte“, konnte Vorstellungen wecken von der Faszination, die der „Teufelsgeiger“ selbst wohl auf seine Zeitgenossen ausübte.
Auf der gleichen Linie am Ende Ravels „Tzigane“ und, als Zugaben, der „Czardas“ von Monti und Paganinis 15.Caprice. Liv Migdal repräsentiert eine in diesem Grad nicht häufig anzutreffende Vereinigung von schwindelerregender Technik und Vergeistigung. Das Oberhausener Publikum darf sich freuen, dass am nächsten Sonntag mit Haiou Zhang ein Künstler ähnlichen Zuschnitts zu hören sein wird.