Oberhausen.

Vorsicht Nähe! Wer sich auf dieses „Frühlings Erwachen“ einlässt, muss Zuschauer-Gewohnheiten aufgeben. Die Produktion des Regisseurs Karsten Dahlem bietet ein hautnahes Erlebnis. Das Publikum ist mitten drin im Geschehen.

Tatort ist nicht die Theaterbühne, sondern das Haus der Jugend am John Lennon Platz. Dort, wo es, so Dahlem, „nach Pubertät riecht“, beginnt das Drama des Erwachsenwerdens am 14. Geburtstag von Wendla (Elisabeth Wolle).

Voll die geile Party

Die Clique hat „voll die geile Party“ organisiert mit allem, was dazu gehört: „hotte“ Masken, Zigaretten und Dosenbier bis zum Abwinken. Die „optimalen Gespräche“ funktionieren ebenso wenig wie der eigentliche Wunsch, ihre Sexualität auszuleben. Da hilft nur Komasaufen und dann: „Mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus und du hältst meine Hand!“, sagt Martha (Nora Buzalka) zu Moritz (Eicke Weinreich).

Die Clique

Unerwünscht kommt Frau Bergmann, Wendlas Mutter (Anna Polke), ins Spiel, bringt Nudelsalat und Päckchen und gereimt zum Ausdruck, dass ihr die Tochter viel Kummer bereitet – was Wendla veranlasst, sich auf dem Klo einzuschließen. Was sich im Bad zwischen Mutter und Tochter abspielt, verfolgen die Zuschauer auf dem Bildschirm.

In den folgenden Szenen lernt man die Clique kennen. Moritz hat Angst vor dem Sitzenbleiben, er kann nicht lernen, weil er stets ans Ficken denke, sagt er. Ilse (Manja Kuhl), die coolste der drei Mädchen, tut ständig so, als sei sie der Clique längst entwachsen, Martha erzählt, dass sie von ihren Eltern geschlagen werde, weshalb Wendla, das Prinzesschen, in Tränen ausbricht. Melchior (Sergej Lubic) zweifelt am Sinn des Lebens. Obwohl sie Kids von heute sind, tragen sie noch die Namen aus der Vorlage zu dem Stück, das Wedekind vor über 100 Jahren schrieb. In ihrer vom Jugend-Slang geprägten Art zu reden, klingt die alte Sprache noch mit, was eine verrückte Brücke vom Früher zum Heute schlägt und die Zerrissenheit der Charaktere unterstreicht.

Was geschieht, entspricht mit leichten Abwandlungen ebenfalls noch Wedekinds Idee. Moritz bringt sich um, lässt die anderen mit dem Warum zurück. Wendla ist schwanger, aber nicht tot.

Das Besondere an der Inszenierung ist ihre Multi-Medialität und dass im Jugendhaus mehrere Räume bespielt werden. Das Publikum wird im Wortsinn gezwungen, dem Geschehen zu folgen. Die Musik verstärkt das Erleben mit allen Sinnen. Filmeinspielungen stellen eine Beziehung zum realen Leben in Oberhausen her.

Nachwirkung

Dass nahes Theater wirkt, beweist eine reale Szene nach der Vorstellung. Die Premierengäste sind fort. Vor dem Eingang des Jugendheims steht eine Schülergruppe, unfähig, sagen sie, sofort zu gehen. „Dafür sind wir noch zu betroffen.“

Die gute Nachricht: „Frühlings Erwachen“ wird auf jeden Fall noch bis zum Ende der Spielzeit im Haus der Jugend am John Lennon Platz aufgeführt. Der drohende Abriss des Hauses gefährdet die Produktion, die für junge Leute ab 14 Jahren gedacht ist und verschiedene Räume des Gebäudes bespielt, nicht. Schulklassen können die Vormittags-Aufführungen (Beginn 11 Uhr) sehen. Abends beginnen die Vorstellungen wegen der aufwendigen Vorbereitungen anders als gewohnt erst um 20 Uhr.