Oberhausen.

Seit drei Jahren lebt und schläft der Mittfünfziger auf der Straße. Auch bei zweistelligen Minustemperaturen weicht er nicht von seiner „Platte“. Mit den Worten: „Ich will nicht, ich komm’ schon zurecht“, schlägt er spätabends das Angebot von Diakonie-Sozialarbeiter Marc Grunenberg (34) aus, nicht doch in einer Obdachlosenunterkunft zu übernachten.

Bei seinen nächtlichen Rundgängen erlebt Grunenberg solche Situationen immer wieder – aber zum Glück nicht allzu häufig. „Die wenigen, die wirklich draußen schlafen, kennen wir und wissen auch, wo ihre Plätze sind“, erklärt er.

Mehrmals in der Woche hält Grunenberg zwischen 20 und 23 Uhr an bekannten Stellen wie dem Gelände rund um den Hauptbahnhof oder dem Bero-Zentrum Ausschau nach Klienten. Hilfe bietet er immer an, doch die meisten Obdachlosen fällen ihre Entscheidung bewusst: „Für manche Menschen ist es einfach unmöglich in geschlossenen Räumen zu sein oder sich ein Zimmer mit anderen Leuten zu teilen, das kann teilweise sogar zu Angstzuständen führen“, erklärt Grunenberg.

Dennoch überlässt Grunenberg die Menschen auf der Straße nicht ihrem Schicksal: Mit dem Sam-Mobil (Soziale Arbeit und Medizin) verteilt er Jacken, Decken und Schlafsäcke unter den draußen Schlafenden. Dankend nimmt sogar der hartgesottene Herr der Platte diese an.

Doch nicht alle Einsätze verlaufen so friedlich. „Am Hauptbahnhof haben wir diese Woche eine stark alkoholisierte Frau aufgefunden. Ich habe sofort den Notarzt geholt, der sie versorgt hat und als sie einigermaßen bei Besinnung war ihr noch ein Stück bis zu ihrer vermeintlichen Wohnung hinterhergefahren ist“, berichtet Grunenberg. Manchmal gebe es aber auch gar keine Vorfälle.

Mit seiner Kollegin Anastasia Wachtel (24) ist Marc Grunenberg, der seit sechs Jahren in der Wohnungslosen-Beratungsstelle arbeitet, auch tagsüber mit dem Sam-Bus unterwegs. Man kennt ihn und das Auto. Mittwochs steht das Sam-Mobil für zwei Stunden am Berliner Park nahe dem Hauptbahnhof und donnerstags in Sterkrade.

„Hier bieten wir Wohnungslosen und anderen Hilfsbedürftigen Beratung und ärztliche Versorgung an“, erzählt er. Wo nachts Schlafsäcke und Decken lagerten, gibt es dann eine Liege, einen Arzneischrank, ärztliche Untersuchungsgeräte und einen Laptop, in dem die Krankendaten notiert werden. An beiden Standorten rotieren jeweils drei Ärzte gegen einen kleinen Obolus. In Alt-Oberhausen ist einer von ihnen Dr. Sia Mirfendereski (75). Angefangen hat er als Vertretung, das war vor eineinhalb Jahren – heute ist er längst Bestandteil des Teams. „Es ist wichtig, den Menschen zu helfen, die sich den Arztbesuch nicht leisten können“, sagt der Arzt für Innere Medizin, der lange Jahre eine Praxis in Duisburg, später in Oberhausen führte.

Bei diesen Temperaturen sind es laut Mirfendereski rund 50 Prozent, die mit Erkältungsbeschwerden kommen. „Wir sind gut genug ausgestattet, um sie zu untersuchen und ihnen entsprechende Medikamente mitzugeben oder sie an kooperierende Apotheken zu verweisen, die auf die Rezeptgebühr verzichten. Aber natürlich geben wir keine starken Betäubungsmittel raus“, sagt er. Denn unter den Patienten befänden sich auch einige Suchtkranke – Spritzenabszesse von Heroinnadeln gehören deshalb sogar zu den häufigsten Beschwerden.

Alleine kommen die Patienten selten. Während ein Mann, den die Kumpels mit RWO-Schal Werner nennen, im Bus zur Behandlung verschwindet, warten die anderen draußen. Werner ist froh über das Angebot: „Gerade im Winter ist es echt gut, dass es das gibt“, sagt er hinterher.

Bei schlimmeren Krankheiten besteht für die Diakonie-Helfer die Möglichkeit an Krankenhäuser zu vermitteln. Viel läuft hier über persönliches Vertrauen. „Wir sind eine Art Bindeglied zwischen den Ärzten und den Klienten“, sagt Wachtel. Vor allem Frauen wollen oft, dass sie bei Untersuchungen mit dabei ist. Ein Wunsch, den sie gerne erfüllt.