Oberhausen. .
Leises Sprechen und verschüchtertes In-die-Ecke-Gucken sind gerade in der Turnhalle der Ruhrschule nicht angesagt. Auf dem nachmittäglichen Stundenplan steht das Selbstbehauptungstraining für die Drittklässler und Leiterin Birgit Scherbe, von den Acht- oder Neunjährigen „Biggi“ genannt, besteht darauf: Dass die Kinder nicht mit piepsigen Stimmchen antworten und dem Gegenüber, also ihr, fest dabei in die Augen schauen. „Lautes Sprechen ist wichtig, die Kinder sollen wissen, dass sie Rechte haben, stark sind und ihre Wünsche formulieren können“, sagt die Trainerin. Wer so auftritt, kann sich in Gefahren- und Konfliktsituationen besser behaupten und reagieren.
Das ist das Lernziel des sechsteiligen Lehrgangs, der vor Weihnachten an der Ruhrschule in Alstaden gestartet und nächste Woche zu Ende ist. Jeweils eine Stunde, die nur dem Selbstbewusstsein gewidmet ist und dem eigenen Bauchgefühl, auf das es zu hören gilt. „Da will mich jemand umarmen, mir ein Küsschen geben, etwas von mir wissen oder mich zu sich locken“, sagt Birgit Scherbe, „die Kinder sollen darauf vertrauen: Ist das schlechte Gefühl da, sage ich Nein!“ Die 45-Jährige spricht in den Rollenspielen, die ein Schwerpunkt des Kurses sind, ausdrücklich immer von einem „Jemand“. Denn „es muss nicht immer der Fremde sein, von dem eine Gefahr ausgeht“, sagt Birgit Scherbe. Auch diese furchtbare Wahrheit ist hier kein Tabu.
„Es geht nicht darum, Panik bei den Kindern zu schüren“, so die Trainerin, es gehe darum, sich mit den Situationen auseinander zu setzen, sie zu erklären und das richtige Verhalten kennen zu lernen.
Es geht um Situationen wie diese: „Biggi“ sitzt auf einem Kasten und spielt einen Autofahrer. Und will Anna, Mats, Elias und Max ans Auto locken. Was ihr dabei so an Ausreden einfällt, ist entlarvend. „Kannst du mir den Weg zum Zahnarzt zeigen? Ich hab’ meinen kleinen Hund verloren, kannst du mir suchen helfen?“ Oder, ganz perfide: „Deine Mutter hat einen Unfall gehabt und liegt im Krankenhaus, sie hat mich geschickt, um dich zu holen.“
Regel Nummer eins in einem solchen Fall: Nicht nah ans Auto herangehen! Birgit Scherbe schärft den Kleinen ein: „Der soll einen Erwachsenen nach dem Weg fragen! Und: Wenn eurer Mutter wirklich etwas passiert wäre, hätte sie eine Vertrauensperson geschickt!“ Sie stemmt die Hände in die Hüften: „Also was macht ihr? Und die Kinder schreien ganz laut „Nein!“ und flitzen los, vom vermeintlichen Auto weg. Gut gemacht, dafür gibt’s die Fünf mit der Hand von Biggi. „Kinder wollen höflich sein, sind tierlieb, damit kann man sie ködern“, beschreibt Trainerin Scherbe die Strategien der Täter. Die hoffentlich bei den Ruhrschule-Schülern nicht mehr so leicht zur Geltung kommen.
Aber es gibt da noch was: „Auch Kinder können gemein sein.“ Oh ja, und deshalb beschäftigt sich Birgit Scherbe in den Trainingsstunden auch mit Konfliktsituationen unter den Schülern. Hänseleien, Mobbing, Provozieren. Scherbe will den Kindern vermitteln, dass sie reden müssen, denn das heißt, stark zu sein.