Lebensfreude, die beschämt

Oberhausen. . Ein ganz normaler Tag im Leben der Friedensdorfkinder und was sich die jungen Bewohner nicht nur zur Weihnachtszeit wünschen.

Mit einem lauten Knall donnert der Ball gegen den Zaun. Drei Jungs, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, kreuzen Arm in Arm den Dorfplatz. Kinderlachen. Kinderquengeln. Alltag. Für uns. Nicht für sie. Für die rund 300 vom Friedensdorf betreuten Kinder ist es ein Ausflug in eine fremde Welt, der ihnen alles abverlangt. Sie und ihre Eltern gingen dieses Wagnis ein, weil es ihre einzige Chance ist.

Ein paar renovierte helle Gebäude umkreisen den Dorfplatz. Hier ist ihr Treffpunkt, der Startplatz für den Tag. Hier werden sie abgeholt. Diesmal von Ute Koch und Gudrun Steffen. Es geht in die kleine Nähstube. Die Plätze sind begehrt. Sieben Jungs sitzen an einem Tisch und zaubern mit Nadel und Faden. Die Kinder arbeiten konzentriert. Die Stiche müssen sitzen. Die Jungs haben Großes vor.

Nähen für die Kinder im Krankenhaus

Heute sind aber erst einmal die Kuschelkissen dran. Die sind als Geschenke für die hundert kleinen Patienten gedacht, die Weihnachten im Krankenhaus verbringen müssen. Dabei kann man prima üben, findet Maftunbek. Der Elfjährige kommt aus Usbekistan, ist zum dritten Mal wegen einer Fehlbildung seines rechten Beines im Friedensdorf. Operiert wurde er schon. Jetzt will er etwas lernen. „Ich möchte das“, Maftunbek zeigt auf seinen Kopf, „da drin nach Hause nehmen!“

Mützen haben die Kinder schon von Hand genäht. Shams (12) hat Gudrun Steffen gerade um eine Zeichnung gebeten. „Peruhan“, sagt er und meint ein Kleidungsstück, das aussieht wie ein Kaftan. Shams hat durch einen unbehandelten Bruch eine Knochenentzündung im linken Unterschenkel. Wenn die ausgeheilt ist, will er so schnell wie möglich zu seiner Familie. Bis zur Abreise will er diesen Peruhan nähen, „als Geschenk für meinen Bruder“.

Wer bereits gut mit Nadel und Faden umgehen kann, darf an die Nähmaschine. „Da sind alle Kinder heiß drauf“, erzählt Gudrun Steffen. Da das Interesse so groß ist - bei Jungen und Mädchen übrigens gleichermaßen - zieht die Nähstube schon bald in einen größeren Raum. „Leider haben wir bislang aber nur eine einzige funktionstüchtige Nähmaschine“, bedauert Ute Koch.

„Das ist schon etwas Anderes hier“

Im nahen Schwimmbad hat Doris Gerwin-Langner gerade Wassergymnastik mit den Mädchen gemacht. Für Sadokat das einzige Element, in dem sie sich schwerelos fühlt. Die Zehnjährige kann nicht gehen, sitzt im Rollstuhl. „Hier findet Reha statt, aber natürlich wird das Bad auch für Spiel und Spaß genutzt“, erzählt die ehemalige Lehrerin aus Mülheim.

Um sich besser mit den angolanischen Kindern unterhalten zu können, hat die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Friedensdorfes jetzt einen Portugiesisch-Kurs gebucht.

Marius Schiller ist Jahrespraktikant. Er will sein Fachabitur machen. Mit einer munteren Jungenhorde bastelt er gerade Weihnachtsschmuck für die Fenster im Unterrichtsraum. „Ich hätte auch in einen Kindergarten gehen können“, erzählt der 20-Jährige. „Aber das ist schon etwas Anderes hier.“ Die Kinder freuten sich noch über jede Kleinigkeit.

Nebenan werkelt Sayaka Goka mit einer Mädchengruppe. „Vor 15 Jahren habe ich im Fernsehen einen Bericht über das Friedensdorf gesehen und seitdem wollte ich hier ein Praktikum machen“, erzählt die Japanerin. Doch damals waren ihre eigenen Kinder noch klein, jetzt erfüllt sich Goyka ihren Lebenstraum.

Keine langen Gesichter

„Wissen Sie, zu Hause ziehen die Kinder schon mal lange Gesichter, wenn sie zur Schule sollen“, erzählt sie. „Doch wenn wir hier auf den Dorfplatz fragen, wer Lust hat, zu basteln oder lesen, schreiben, rechnen zu lernen, kommen alle Kinder angerannt. Das ist rührend!“

Sie nähen, basteln, spielen, sie lachen und streiten, so wie alle Kinder. Doch ein Blick in die Krankenstation zeigt, dass die kleinen Patienten aus Afghanistan, Angola oder Usbekistan eben nicht sind, wie alle Kinder. Sie haben schwere Verletzungen erlitten.

Aufklärung über Hygiene

Ulrike Korbmacher wechselt bei Joaquin (12) den Verband an Armen und Beinen. Eine Hautinfektion am Unterarm nach einem Unfall hatte Hauttransplantationen nötig gemacht. Die Krankenschwester erklärt dem Jungen, worauf er beim Duschen achten soll, klärt über Hygiene auf.

„Das ist wichtig“, meint Friedensdorf-Sprecherin Bruckmann. „Denn die Kinder leben in ihrer Heimat unter schlechten hygienischen Bedingungen. Wir bringen ihnen bei, wie wichtig es ist, Wasser abzukochen und auch kleinste Wunden sofort zu reinigen.“

Die japanische Physiotherapeutin Akiko Tasima verhilft Ataulla aus Afghanistan zum festen Stand. Der Siebenjährige hat sein rechtes Bein und seinen rechten Arm verloren und trainiert jetzt mit Prothesen. „Klappt schon“, sagt er stolz, läuft die wenigen Meter zum Rollstuhl ohne zu stürzen und beweist dabei einen Lebenswillen und eine Lebensfreude, die beschämt.

Bildung für die Kinder

Bis zu 150 Kinder werden in Krankenhäusern betreut, weitere 150 bis 200 direkt im Friedensdorf Oberhausen an der Rua Hiroshima. Dort teilen sich je vier Kinder ein Zimmer. „Für die meisten ist es bereits Luxus, ein eigenes Bett zu haben“, sagt Friedensdorf-Sprecherin Heike Bruckmann.

Die hauseigene Küche sorgt für die täglich frische Verpflegung. Vier bis fünf Erzieherinnen plus Praktikanten kümmern sich um je einen Bereich: Es gibt eine Gruppe für Kleinkinder, eine für Mädchen und eine für Jungen. Die Kinder lernen lesen, schreiben, rechnen, erhalten eine Hygieneschulung und werden in Friedenspädagogik unterrichtet.

Wer möchte, kann zudem in der Holzwerkstatt werkeln oder nähen lernen. Insgesamt beschäftigt das Friedensdorf rund 100 Mitarbeiter, dazu kommen Ehrenamtliche.

Ehrenamtliche wie Silvia Falbe, die die Kinder im Warteraum der Krankenabteilung beschäftigt, sich dabei manchmal wie eine Dompteuse fühlt und sich jetzt wie für ihre Schützlinge ins Zeug legt.

„Viele Oberhausener wissen gar nicht, dass sie uns schon mit kleinen Dingen unterstützen können“, wirbt Falbe und ist nicht mehr zu bremsen.

Wunschzettel

Hier ihr Wunschzettel für die Friedensdorf-Kinder: Bleistifte, Buntstifte, Papier, Bügelperlen, Lego-Duplo-Steine (die können die Kinder besser greifen), Spiele (Uno und auch alle anderen Kartenspiele sind heiß begehrt), Bastelmaterial, Scheren, Nähmaschinen für die Nähstube, Holz, Spanplatten, alte Paletten für die Holzwerkstatt. Außerdem Kinderkleidung, im Moment vor allem warme Jacken, Hosen, Strümpfe, Schuhe. Und: Bettwäsche, Geschirr und alles, was ein normaler Haushalt auch gebrauchen kann.

Wer etwas abgeben möchte, kann das bei der Zentralstelle, Lanterstr. 21, Dinslaken (02064 4974-0), an sieben Tagen in der Woche fast rund um die Uhr. Für alle, die lieber Geld geben, hier das Spendenkonto: Friedensdorf International, Stadtsparkasse Oberhausen, Kontonummer: 102400, BLZ: 365 500 00.