Trifft man Tilman Raabke in diesen Tagen auf der Straße, sagt er gern, er sei gerade für eine Pause aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden.

Theater Oberhausen - Sexus - Fremdbild - nur zur einmaligen Verwendung
Theater Oberhausen - Sexus - Fremdbild - nur zur einmaligen Verwendung © WAZ

Tatsächlich begleitet der Leitende Dramaturg des Theaters derzeit den ukrainischen Regisseur Andriy Zholdak bei dessen Inszenierung von Henry Millers gewaltigem Werk „Sexus”. Premiere ist am Freitagabend, 20. März, um 19.30 Uhr im Großen Haus.

Miller erzählt in seinem 1947 veröffentlichten, als Taschenbuch rund 700 Seiten starken autobiografischen Roman die Liebesgeschichte um seine zweite Frau, ein Taxigirl, das er in den Zwanzigern kennenlernt und in das er sich Hals über Kopf verknallt. Er ist noch verheiratet, beginnt mit dem Girl eine Affäre. Wortreich mit unzähligen Anekdoten erzählt er die Geschichte seiner einzigen großen Liebe, auf die er gleich mit den ersten Worten seines Romans verweist: „Es muss ein Donnerstagabend gewesen sein, als ich ihr zum ersten Mal in jenem Tanzpalast begegnete.”

Was dann folgt, ist atemloses Erzählen, das, so Raabke, „alle bis dahin gültigen Regeln der amerikanischen Romanliteratur über Bord wirft”. Miller habe eine neue Ästhetik entworfen, um die Fülle des Lebens einzufangen, die auf die Leser oder jetzt auf die Theaterbesucher einprasselt. Die Rastlosigkeit – „Miller redet sich um Kopf und Kragen” – sei es, die auch den in Berlin lebenden Ukrainer an dem Stoff interessiert habe. Man sei verwundert gewesen, dass Zholdak sich für Millers wohl berühmtesten, aber auch radikalsten Roman entschied, als man ihn fragte, ob er Lust habe, in Oberhausen zu inszenieren. Intendant Peter Carp kannte Andriy Zholdak schon von einer gemeinsamen Arbeit am Schauspiel in Luzern.

Es klingt nicht wie eine Warnung, eher wie Lust machen auf ein höchst lustvolles Stück der neueren amerikanischen Literaturgeschichte, wenn Raabke sagt, dass es ab Freitagabend überbordend wird im Großen Haus, sehr wild, chaotisch, „aber auch mit stillen Momenten, nicht mystisch, man versteht alles”. Zholdak, der es liebt, gewaltige Sprachbilder in Szene zu setzen, hat sich auch am Bühnenbild beteiligt, es gemeinsam mit Tatjana Dimova konzipiert, die auch die Kostüme entworfen hat. Vladimir Klykov, der die Musik ins Szenario einbaut, komplettiert das Leitungsteam aus der Ukraine.

Zu den größten Schwierigkeiten auf dem Weg zur Premiere gehörte es, so Raabke, das epochale Sujet auf eine spielbare Fassung zu kürzen, ohne die Liebesgeschichte als ohnehin schon bunten, prallen Kern des Stückes zu demontieren. So wurde auf viele Anekdoten verzichtet. „Sonst hätten wir eine Woche ohne Pause spielen müssen”, stellte Raabke fest. Auch die Anforderungen an die Technik sind exorbitant, die Produktion, in der übrigens auch Viktoriya Zholdak, die Ehefrau des Regisseurs, mitspielt, habe eine riesige Organisationsmaschinerie in Gang gesetzt. Allein rund ein Dutzend Videokameras sind auf der Bühne, deren Positionen immer wieder verändert werden vom Ensemble, das auch stete Umbauten zu bewältigen hat, insgesamt eine enorme Leistung vollbringt, so der Dramaturg.

Für die Premiere gibt es noch Karten: 85 78 184.

Der Regisseur:

Andriy Zholdak, 1962 in Kiew geboren, hat in Moskau Film- und Theaterkunst studiert. Seit 1989 arbeitet er als freier Regisseur in der Ukraine, in Russland und Rumänien, von 2002 bis 2005 leitete er das Shevchenko-Theater in Charkiv. Bühnenproduktionen führen den Träger des Unesco-Preises für Regie in viele europäische Länder, auch nach Deutschland. Im deutschsprachigen Raum nimmt er an den Berliner Festspielen und den Wiener Festwochen teil.